Wie ich schon in meinem Artikel Finanzielles Fasten schrieb, ist es populär, sich kleine Ziele zu setzen. Die Strategie der kleinen Schritte scheitert jedoch oft daran, dass die kleinen Fortschritte zwar erreicht werden, aber auch nur wenig motivieren: ein Brötchen weniger essen spart zwar Geld und Kalorien, führt aber weder im Geldbeutel noch auf den Rippen zu einem spürbaren Ergebnis, das uns anfeuert. In diesem Artikel will ich etwas theoretisches Verständnis dafür schaffen, warum das so ist und warum ich für größere Ziele bin.
Stellt euch vor, ihr wollt etwas Neues lernen. Am Anfang wisst ihr fast gar nichts über das Thema. Auch nach 5 Artikeln wisst ihr noch wenig. Wenn ihr euch auch weiterhin kaum anstrengt und maximal einen Artikel pro Woche lest, dann werdet ihr auch nur wenige Kenntnisse aufbauen. Dies gilt analog für jedes andere Bemühen mit kleiner Anstrengung oder kleiner Zielsetzung.
Sobald ihr euch aber mehr vornehmt und ein erstes Buch (*) lest und Grundkenntnisse erwerbt, lernt ihr danach auf einmal mehr hinzu, wenn ihr z.B. weitere Bücher oder weitere Artikel lest: ihr könnt nun neue Fakten besser einordnen und bewerten. Das Grundwissen, das ihr euch erarbeitet habt und nun wieder einsetzt, wirkt analog zum Zinseszins-Effekt: Es lohnt also, sich von Anfang an ein größeres Ziel zu setzen und etwas mehr zu investieren, um es zu erreichen.
Es gibt aber noch einen weiteren Effekt: Wenn ihr euch lange angestrengt habt – also z.B. irgendwann 20 Bücher zu einem Thema gelesen habt, so wird euch das 21. Buch nicht mehr so viel neue Informationen bringen: ihr habt schon viel gelesen und auch schon viel gelernt: es gibt trotz weiterer Anstrengung nur noch wenig Neues zu erlernen: vielleicht gibt es noch eine neue Perspektive oder ein paar Fakten. Habt ihr noch mehr gelernt, könnt ihr nur noch hinzulernen, indem ihr selbst auf neue Ideen kommt. Das kostet noch mehr Aufwand und Zeit und liefert im Vergleich zur investierten Zeit nur noch wenige neue Informationen. Ihr erfahrt das, was Ökonomen den abnehmenden Grenznutzen nennen.
(*) Je nachdem welches das ist, könnte es beim ersten Buch auch noch passieren, dass man in das Zwischenstadium „gefährliches Halbwissen“ geratet und damit faktisch einen negativen Nutzen habt, aber das merkt man in der Regel erst im Nachhinein 🙂
Die Zunahme der Wirkung (hier Kenntnisse zu einem Thema) hängt zum einen von eurer aktuellen Anstrengung ab (in unserem Beispiel: wie viel ihr lest) und davon, wie viel ihr vom Thema vorher bereits verstanden habt.
Der Zusammenhang wird durch diese Formel beschrieben:
dn/dt beschreibt die Steigung der Kurve: d.h. wie viel zusätzlichen Ertrag (dn) ihr für zusätzlichen Aufwand (dt) ihr erreicht. Dieser hängt ab von n (wie viel tut) und 1 – n: wie viel ihr noch tun könnt (1 ist alles, was ihr tun könntet, n ist was ihr getan habt und 1 – n ist, was ihr noch tun könnt).
Grafisch entspricht das dem Verlauf einer logistischen Kurve, die man auch S-Kurve (bzw. Sigmoid-Kurve) nennt:
Da dies im wesentlichen ein Blog über persönliche Finanzen ist, schauen wir uns das Thema Geld sparen unter Einbeziehung dessen an, was wir über die logistische Kurve gelernt haben etwas genauer an: investiert ihr, erhaltet ihr Zinsen und reinvestiert ihr diese, so nutzt ihr den sog. Zinseszins-Effekt. Investiert ihr aber nur wenig, so erreicht ihr auch nur wenig. Investiert ihr also z.B. 10 Euro für 10 Jahre bei 7,5%, erhaltet ihr 20 EUR. Investiert ihr aber 100.000 EUR für 10 Jahre für 7,5%, dann erhaltet ihr 200.000 EUR. Das Verhältnis ist dasselbe, aber die Zunahme entspricht 100.000 EUR statt 10 EUR – das eine nützt und motiviert wenig, das andere umso mehr: das heißt, es kommt nicht nur darauf an, etwas zu tun (zu investieren), sondern auch darauf, wie viel Ressourcen (hier Geld) ihr einsetzt .
Die logistische Kurve ist so interessant, weil sich ihr Prinzip auch auf sehr viele andere Gebiete übertragen lässt: abnehmen, fit werden, ein höheres Einkommen erreichen, gute Beziehungen aufbauen, Sprachen lernen oder Geld sparen. Strengt ihr euch nur wenig an, so erreicht ihr so gut wie nichts. Strengt ihr euch mehr an, passiert etwas: und zwar je mehr ihr euch anstrengt, desto mehr erreicht ihr: ihr nutzt den Zinseszins-Effekt: eure vorhergehenden Anstrengungen zahlen sich aus. Strengt ihr euch aber immer weiter an, so erreicht ihr schließlich einen Bereich, ab dem zusätzliche Anstrengungen nur noch wenig zusätzlichen Gewinn bringen: ihr erfahrt den abnehmenden Grenznutzen.
Lehren
Es geht um die Verhältnismäßigkeit zwischen den eingesetzten Ressourcen und dem Effekt.
1. Wenn wir etwas beginnen wollen, dann sollten wir dem von Anfang an einen vernünftigen Anteil Zeit und Anstrengung widmen – oder es ganz lassen und uns daran erfreuen, wenn es andere tun: ansonsten sind wir möglicherweise enttäuscht oder verschwenden Ressourcen in Form von Geld, Zeit, Nerven und Materialien. Mit einem kleinen Ziel und wenig Ressourcen erreichen wir wenig.
2. Umgekehrt eröffnet euch eine größere Anstrengung mit ziemlicher Sicherheit auch wachsende Gewinne. Und diese wachsenden Gewinne verschaffen euch dann auch die Motivation, die ihr braucht, nicht vorzeitig aufzugeben! Investieren wir in eine neue Sache gleich eine ordentliche Portion Anstrengung und bauen Ressourcen auf, dann erreichen wir umso schneller eine Situation, in der unsere Anstrengungen Früchte tragen.
3. Man kann es aber auch übertreiben und zunehmend mehr tun und trotzdem weniger erreichen. Manche nennen das auch die Perfektionismus-Falle. Ich denke, es ist wichtig zu wissen, wann wir genug haben.