Ein mögliches Maß für Wohlstand ist das Reinvermögen. Das Reinvermögen ist laut einer Definition der Betriebswissenschaften das, was vom Vermögen nach Abzug aller Schulden übrig bleibt.
Reinvermögen = Vermögen – Schulden
Ein einleuchtend einfaches, wie ungenaues Maß.
Person 1 hat 200.000 Euro und 100.000 Euro Schulden
Person 2 hat 100.000 Euro.
Wer ist wohlhabender? Person 1 oder Person 2?
Beide haben das gleiche Reinvermögen. Trotzdem würde ich immer die Situation von Person 2 zu bevorzugen.
Wer 100.000 Euro hat und keine Schulden ist sicherer. Der Verlust durch die Zinszahlungen bei 100.000 Euro Schulden kann nur bei sehr gut überlegter Investition ausgeglichen werden: nur, wenn die Zinsen mit dem Gewinn des angelegten Geld überkompensiert werden, macht man Gewinn. Das erfordert aber Wissen. Wäre es anders, würden sich die Leute wie in den 1920er Jahren Geld leihen und an der Börse investieren. Mit entsprechendem Fachwissen und entsprechendem Zeiteinsatz, ist es möglich, profitabel sein Portfolio/sein Geschäft durch geliehenes Geld „zu hebeln„. Für den Laien ist dies jedoch nicht empfehlenswert, denn im Verlustfall hat man nicht nur sein Geld verloren, sondern auch noch Schulden…
Verschuldungsgrad
Unternehmen, die trotz 100.000 Euro Kapital zusätzliche Schulden machen, überlegen sich das genau und investieren nur, wenn die Aussicht auf Gewinn gegeben ist. Der Verschuldungsgrad (capital-to-debt-ratio) ist ein Maß zur Bewertung von Unternehmen und wird z.B. von Investoren bei der Wahl von Aktien verwendet. Im Unterschied zu Unternehmen, stehen bei der Privatperson häufig dem geliehen Kapital (=den Schulden) keine Einnahmen gegenüber: Im o.g. Beispiel hat Person 1 hat einen Verschuldungsgrad von 50% und Person 2 von 0%.
Leider ist beispielsweise der private Hauskauf oft sehr unüberlegt: ohne eine klare Aussicht auf Gewinn verschulden sich viele für den Hausbesitz. Nicht selten liegt der Verschuldungsgrad dann bei 80% (aktuell ja auch gerne bis zu 115% – im Vergleich zum Hauswert). Würden sie Aktien einer Firma mit 80% Schulden (*) kaufen? Ich hoffe wohl nur, wenn es wirklich gute Argumente dafür gibt, dass die Firma in Zukunft ordentlich Gewinn auf das Kapital erwirtschaften wird: Klar gibt es viele Firmen mit 80% und mehr Fremdkapitalanteil. Gerade jetzt, wo Kapital so billig ist, hebeln Unternehmen ihr Geschäft gerne etwas weiter. Es gibt geteilte Meinungen darüber, wie relevant die Kapitalstruktur ist: siehe zum „Pizza-Theorem“ auch hier, aber ich schweife ab…
Ironischerweise werden Immobilien völlig unabhängig vom Verwendungszweck als Geldanlagen betrachtet: sofern Immobilien aber nicht vermietet werden oder keine Wertsteigerung erwartet werden kann, die die Abnutzung übersteigt, machen sie als Geldanlage fast immer nur eines: Verlust.
Reinvermögen als Maß suggeriert zudem, dass Wohlstand allein vom Geld abhängt. Also davon abhängt, wie viel man einkaufen bzw. konsumieren kann. Das kann man auch anders sehen.
Reinvermögen und der Wohlstand von Privatpersonen
Ein Wohlstandsmaß wie das Reinvermögen greift zu kurz. Der eine „kann“ seine Italienreise „nur“ für 2000 Euro richtig genießen (Pauschalreise). Der andere kann ggf. für weniger Geld dieselben Speisen, Orte und Routen nehmen, weil er/sie etwas mehr plant (i.e. Zeit + Wissen einsetzt). Weiterhin kommt es auch auf den Anteil von Heimarbeit an: Kochen, Handwerken usw. wie auch auf die individuellen Bedürfnisse. Jemand, dessen Bedürfnisse schon mit 800 Euro gedeckt sind, ist mit 80.000 Euro wohlhabender (nicht reicher), als jemand, der 1.500 Euro im Monat benötigt und 100.000 Euro hat.
Ein Beispiel:
Person A hat ein Einkommen von 3000 Euro und Person B hat ein Einkommen von 2500 Euro im Monat.
Person A verdient im Jahr als 6000 Euro mehr und leistet sich daher vielleicht ein Haus „im Grünen“ – wohnt aber jetzt 30km vom Arbeitsplatz entfernt. Person A benötigt nun ein Auto, weil es keine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gibt.
Person B wohnt näher am Arbeitsplatz und kann mit dem Rad fahren. Für schwere Einkäufe leiht sich Person B gelegentlich ein Auto vom Nachbarn – oder bei einem CarSharing-Dienstleister.
Wie in meinen letzten Posting hat Person A für einen Neuwagen schon allein jährlich 5000 Euro Fixkosten. Dazu kommt noch Benzingeld von 2250 Euro (*). Obwohl Person A also 500 Euro mehr im Monat und damit 6000 Euro mehr im Jahr verdient, hat sie durch den Autobesitz sogar weniger als Person B mit 2500 Euro Einkommen.
(*) Bei 250 Arbeitstagen im Jahr fährt Person A 15.000 Kilometer. Bei 10 Liter auf 100km und 1.5 Euro pro Lier Benzin, kommt man auf 2.250 Euro
Hinzukommt noch folgendes: Person A sitzt jeden Tag zusätzlich zur Arbeitszeit ca. eine Stunde im Auto, bei Stau sogar mehr. Person B fährt hingegen vielleicht nur wenige Minuten mit dem Fahrrad und hält sich dabei noch fit oder kann in einem öffentlichen Verkehrsmittel lesen – die Fahrtzeit also nutzen. (*)
Um sich fit zu halten, müsste Person A entweder zusätzlich joggen – oder gar weiteres Geld in eine Fitness-Studio-Mitgliedschaft investieren. Der Nutzen des höhren Gehaltes würde weiter darunter leiden, wenn Person A mit dem Auto zum Fitness-Studio fahren würde.
(*) Ich wundere mich jeden Tag über die langen Schlange von Autos, an denen ich an jedem morgen mit meinem Fahrrad vorbeifahre. Mir tut es um die vergeudete Lebenszeit Leid.
Es gibt viele weitere Beispiele, die zeigen, dass Reinvermögen oder die Höhe des Einkommens schlechte Maße für Wohlstand sind. Eigentlich ist jede Fähigkeit, etwas kostengünstiger zu erhalten oder zu machen eine Form von Vemögen oder Kapital. Letztlich reduzieren alle diese Fähigkeiten die Menge an Kapital, die für finanzielle Unabhängigkeit benötigt werden und sie ermöglichen sofort ein unabhängigeres Leben. Das heißt auch, dass es auf dem Weg zur finanziellen Unabhängigkeit lohnt, Fähigkeiten zu erwerben.
Fähigkeiten sind also auch eine Form von „Vermögen“. Bei der Beurteilung des eigenen Kapitals sollte man also seine Fähigkeiten berücksichtigen! Statt einem täuschenden absoluten Maß wie dem Reinvermögen wäre ein relatives Maß interessanter.
Original geschrieben am: 09.05.2011. Überarbeitet am 07.01.2016.
2 Kommentare
Entschuldige, wenn ich dich vollspamme, aber mich wundert, dass du dich immer wieder gegen eine selbstbewohnte Immobilie aussprichst. Ich will dir einfach mal an meinem Beispiel schildern, wie es funktioniert:
Ich habe vor 15 Jahren ein kleines (53m²), freistehendes EFH mit ca. 16m² Garten für 81.000 Euro (ursprünglich 165.000 DM) gekauft. Ich habe die Kaufsumme voll finanziert, hoch getilgt und bei durchschnittlich 4% Zinsen etwa 100.000 Euro für die Baudarlehen bezahlt. Zusätzlich würde ich nochmal (großzügig!) 10.000 Euro für Reparaturen und eine neue Heizung draufrechnen. Meine Investition beläuft sich also auf 110.000 Euro. Nebenkosten und Umlagen für Abwasser, Müllabfuhr usw. zahlt man als Mieter auch, die lasse ich aus der Rechnng raus.
Eine vergleichbare Mietwohnung hätte hier im Kölner Raum etwa 500 Euro kalt gekostet. Ich hätte in 15 Jahren also 90.000 Euro bezahlt.
Das Haus habe ich letztes Jahr für 120.000 Euro verkauft. Während der Mieter ein Loch von 90.000 Euro in der Tasche hat, habe ich 10.000 Euro Gewinn gemacht – und KEINE 90.000 Miesen. Das heißt, dass die Vermögensdifferenz zwischen dem Mieter und mir am Ende bei 100.000 Euro liegt. Oder denke ich jetzt irgendwie falsch?
Klar, die Rechnung kann auch ganz anders aussehen, wenn man eine Immobilie auf knappe Kante kauft, minimal tilgt und dazu noch ein viel zu teures oder großes Haus kauft. Aber wenn man als Mieter eine viel zu teure Wohnung mietet, ist das Ergebnis auch nicht besser.
Liebe Katharina,
ich kann natürlich nicht so einfach jeden Fall beurteilen. Du hast ja schon mal wirklich nur ein kleines Haus gekauft und nur einen kleinen Kredit gehabt. Ich will auch betonen, dass es wirklich immer auf die eigenen Prioritäten ankommt: immerhin kann dir niemand die Zeit und all die Freude nehmen, die du in den Jahren in dem Haus hattest! Und, man kann auf jeden Fall viel schlechter fahren, als du beschreibst.
Hier eine Daumenrechnung – bei der es selbstredend möglich ist, dass ich aufgrund von weiteren Informationen vielleicht nicht richtig liege:
Inklusive 4% Zinsen waren deine Kosten für die 90k über 15 Jahre (ich nehme an, dass du bis dahin auf eine Restschuld von 0 Euro getilgt hattest): von 119.829,44 EUR + 10.000 EUR für Heizung etc. circa 130k. Du hast jetzt 120k bekommen und damit also nur 10k für deine Miete in den letzten 15 Jahren bezahlt. Das ist doch schon mal ganz cool!
Auf der anderen Seite hast du über die 15 Jahre ja zunächst 130.000/15/12 = 722.22 EUR bezahlt (das kannst du als deine Kaltmiete rechnen). Sofern du jetzt die Differenz zu 500 EUR = 222.22 EUR jeden Monat z.B. per Banksparplan angelegt und darauf 3% Zinsen (= ein außer in kurzen Phasen des Mittelalters immer realistischer Wert) bekommen hättest, hättest du jetzt 50.402.55 EUR. Ich will es der Sicherheit halber noch einmal wiederholen: das hätte zwar so aussehen können, aber letztlich muss jeder selbst beurteilen, was ihn/sie glücklich macht. Ich finde jedenfalls einen Differenz von 40k EUR auf 15 Jahre akzeptabel, wenn man dafür etwas gemacht hat, was einen erfreut hat!
Liebe Grüße
Frank