Wenn auch die (persönlichen) Finanzen eines der Hauptthemen meines Blogs sind, schreibe ich verhältnismäßig wenig über konkrete Spar- oder Anlegemöglichkeiten. Das hat den Grund, dass die persönlichen Finanzen meiner Meinung nach symptomatisch sind für den Lebensstil, den wir verfolgen bzw. unsere persönliche Haltung. Aus meiner Sicht ist die Strategie zu guten Finanzen zu kommen relativ trivial und leicht zu benennen: man muss weniger oder genauso viel ausgeben wie man einnimmt. Nicht mehr und nicht weniger.
Daher sind aus meiner Sicht nicht so sehr die konkreten Maßnahmen entscheidend, die zu guten Finanzen führen, als unser Lebensstil und unserer Umgang mit uns selbst.
Wie viele andere Aspekte des Lebens sind auch gute Finanzen ein Ausdruck der persönliche Resilienz und unserer Ehrlichkeit gegenüber den uns aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln bzw. Vermögens (womit nicht nur Geld gemeint sein muss) und einer konstruktiven Entwicklung dieser.
Gute Finanzen isoliert zu verbessern – also ohne auch den eigenen Lebensstil kritisch zu betrachten – ist in meinen Augen uneffektiv und unwirksam. Gleichzeitig erbringt aber eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensstil und den eigenen Überzeugungen und Handlungen nicht nur gute Finanzen, sondern hat auch diverse weitere positive Effekte. Gute Finanzen werden so zu einem Zusatznutzen, der sich ganz automatisch ergibt (oder eben nicht).
Ein besonders wesentliches Charakterelement für ein (finanziell) ausgeglichenes Leben ist aus meiner Sicht die Selbt-Ehrlichkeit. Es dürfte klar sein, dass wenn ich mir selbst und meinen (finanziellen) Möglichkeiten gegenüber nicht aufrichtig bin bzw. selbstbegrügerisch vorgehe, ich nie auf einen grünen Zweig kommen werde. Zum (Selbst-)Betrug gibt es allerlei zu sagen.
Zum einen ist es ratsam sich 1) über die zugrundeliegenden Mechanismen des Selbstbetruges Klarheit zu verschaffen und 2) wie mit der menschlichen Tendenz zum Selbstbetrug in konstruktiver Weise umgegangen werden kann. Ich will mich in diesem Artikel um eine verständliche Einführung bemühen.
Um sich dem Konzept Selbsttäuschungen zu nähern, um die es mir geht, machen wir einen Einstieg über das Thema der optischen Täuschungen, da das wirkende Grundkonzept dort – im wahrsten Sinne des Wortes – direkter “einsehbar” ist.
Betrachten wir dazu die Schachbrett-Schattenillusion des MIT-Professors Edward Adelson: Das Quadrat “A” und “B” haben den gleichen Grauton.
Diese Bild ermöglicht uns eine erstaunliche Erfahrung: unsere Augen lügen uns dreist an – und das ohne persönliches Zutun. Diese Art der Täuschung ist sozusagen neuronal verdrahtet. Wir können uns ihr nicht entziehen. Die Täuschung lässt sich jedoch durch Anwendung von Hilfsmitteln aufdecken: wenn man mit den Fingern alle hellen Felder um das Feld B und zusätzlich das helle Feld rechts von A abdeckt, erschließt sich unmittelbar die “Wahrheit” – nämlich dass Feld A und B den gleichen Grauton haben.
Wichtiger als diese konkrete optische Täuschung oder optische Täuschungen im Allgemeinen ist die unbehagliche Frage, ob denn diese Art der Täuschungen allein auf optische oder andere Sinneswahrnehmungen beschränkt sind. Können etwa auch unsere höheren kognitiven Funktionen ebenfalls von Effekten dieser Art in Mitleidenschaft gezogen werden? Gibt es derlei Phänomene?
Ja, die gibt es und leider wird ihnen kaum der Stellenwert zugemessen, den sie verdienen. Schon gar nicht wird ein Umgang mit ihnen gelehrt. Genau genommen scheint nur ein kleiner Teil der Menschen darüber Bescheid zu wissen oder auch nur eine Ahnung davon zu haben.
Kognitive Dissonanz
Gerne sehen wir uns, unseren Verstand und unsere Bewusstsein als etwas Rationales an. Im Zweifel handeln andere irrational – nicht aber wir. Es spricht jedoch einiges dafür, dass jeder von uns immer wieder sein rationales Denken ausschaltet und sogar eigene Überzeugungen umgeht, um ein positives Image vor uns und anderen zu erhalten.
Leon Festinger begründete die Theorie der kognitiven Dissonanz. Nach dieser Theorie treten innere Konflikte u.a. auf, wenn
- man eine Wahl trifft, obwohl auch andere Alternativen attraktiv waren (z.B.: wir müssen für eine Unzahl ähnlich schlechter oder guter Produkte entscheiden)
- man eine Wahl trifft, die sich anschließend als ungünstig oder fehlerhaft erweist (wir haben etwas gekauft, was sich später als untauglich erweist)
- man erfahren muss, dass eine begonnen Anstrengung größer, weniger lohnend oder unangenehmer ist als ursprünglich angenommen (ein angefangenes Projekt erweist sich als deutlich umfangreicher und der “Stundenlohn” bzw. der Nutzen sinkt im Verhältnis zum Aufwand ins Bodenlose)
- man sich entgegen seiner Überzeugungen verhält, ohne dass aufgrund äußerer Umstände ein deutlicher Zusatznutzen ensteht oder Kosten deutlich vermieden werden (wenn man beispielsweise Fastfood isst, obwohl man überzeugt davon ist, dass es schadet)
Tritt ein Fall von Dissonanz auf, so können wir entweder unser Verhalten oder unsere Werte ändern. Sofern wir bereits gehandelt haben oder eine Verhaltensänderung sehr aufwendig ist, tendieren Menschen dazu ihre Werte und Überzeugungen zu ändern – dauerhaft oder ggf. sogar nur für den zeitlich beschränkten Moment des Konflikts, der z.B. während eines Gesprächs mit einem anderen Menschen entsteht oder bei der Entscheidung für einen Kauf.
Wie Menschen innere Konflikte infolge kognitiver Dissonanzen durch Selbstbetrug “auflösen”.
Der Mensch bemüht sich nun durch Anwendung unterschiedlicher Arten von Selbstbetrug Dissonanzen aufzulösen.
Meinungsumformung.
Eine Möglichkeit ist es Überzeugungen kurzfristig zu ändern oder zu übergehen. Festinger fand so z.B. im Experiment mit Student_innen heraus, dass, wenn diese anderen eine langweilige Tätigkeit als spannend und interessant verkaufen sollten, auch nach dem Experiment umso überzeugter davon waren, die Tätigkeit wäre eigentlich gar nicht so uninteressant – sofern sie dafür Geld erhielten.
Die Dissonanz entsteht dadurch, dass ein eigentlich langweiliges Thema als spanned dargestellt wird. Um – gerade auch, weil dafür Geld erhalten wurde – den Konflikt um unser positives Selbstbild infolge dieser Lüge abzumildern, begannen die Studierenden ihre Einstellung bzw. ihre Meinung zur Tätigkeit zu verformen: sie fanden sie anschließend tatsächlich nicht mehr so uninteressant. Tatsächlich können solche Meinungsumformungen nicht nur temporär, sondern auch dauerhaft erfolgen.
Festhalten an irrigen Vorstellungen.
Eine andere Form der Dissonanzauflösung kann durch Ignorieren der offensichtlich Fakten und auf dem Festhalten an irrigen Vorstellungen beruhen: so glaubten sowohl Mubarak als auch Al-Gadhafi noch daran, dass Volk stünde hinter ihnen als dies schon lauthals auf der Straße ihre Rücktritte forderte. Strukturell ähnlich ist auch die Behauptung eines Karl-Theodor zu Gutenbergs nicht plagiiert zu haben, trotz der mehr als tausend offensichtlich kopierten Textstellen in seiner “Doktorarbeit”. Thema Finanzen: Auf Finanzen bezogen könnte man z.B. in dem Moment, wo man mit der Entscheidung konfrontiert ist eine Konsumentscheidung zu tätigen, die man sich eigentlich nicht leisten kann, dass man sich vormacht, man könnte sich die Anschaffung in Wirklichkeit gut leisten, obwohl das nicht stimmt.
Andere Gründe herbeifantasieren.
Wieder eine andere Möglichkeit inneren Konflikten zu vermeiden ist es andere Gründe für offensichtlich Fakten herbeizufantasieren. So scheint der aktuelle Machthaber in Syrien, al-Assad, fest davon überzeugt zu sein, dass Terroristen seine Macht untergraben wollen, statt anzuerkennen, dass große Teile des Volkes seinen Sturz herbeiführen möchten.Thema Finanzen: Besonders gut für nachträgliche Rechtfertigungen von Handlungen eingesetzt: z.B. ich habe ABC ja nur gekauft, weil ich dachte XYZ.
Abwertung von Opfern.
Eine Dissonanz tritt auch auf, wenn Menschen in Not geraten, es aber mit viel Aufwand verbunden wäre ihnen zu helfen. Um den resultierenden inneren Konflikt abzumildern, ist das Begehen einer Opfer-Abwertung möglich: man überzeugt sich dazu davon, dass der arme Mensch an seinem Schicksal selbst Schuld hat oder das die vergewaltigte Frau es doch irgendwie gewollt hätte. Beide Meinungsumbildungen sind Ausdruck eines Selbstbetrugs, mit dem man sich trotz unterlassener Hilfe sein positives Selbstbild zu erhalten versucht. Thema Finanzen: Es lag an dem Verkäufer oder an dem Freund/der Freundin, die einem zum Kauf überredet hat.
Herunterspielen von Fakten und fiktive bzw. überbewertet Umstände.
Eine weitere Variante der Dissonanzauflösung tritt durch Herunterspielen von Fakten auf: “Es gibt doch so viele Raucher, die alt geworden sind.”
Auch ist es möglich, dass zur Konfliktvermeidung auf fiktive äußere Zwänge bzw. Situationen hingewiesen wird oder faktisch vorhandene Zwänge bzw. Situationen überbewertet bzw. anders bewertet werden. “Ich habe die Prüfung nur nicht bestanden, weil ich die Nacht vorher nicht schlafen konnte.” Thema Finanzen: „Fast jeder hat heute Schulden, dass ist ganz normal“. Womit ich die Frage aufwerfen möchte welchen inneren Wert es hat „normal“ zu sein. Aber dazu in einem anderen Artikel vielleicht noch einmal mehr.
Kognitive Dissonanz und Konsum.
Häufig gehört Aussagen:
- “Ich musste in die größere Wohnung umziehen, da die alte zu klein geworden ist.”
- “Ich kann mir keine Bio-Lebensmittel kaufen, da sie zu teuer sind – außerdem ist es ja gar nicht klar, ob die wirklich besser sind.”
- “Ich musste das Produkt X unbedingt haben.”
Zu (1) Die deutlich einfachere Lösung wäre Dinge auszusortieren bzw. überhaupt erst einmal weniger zu kaufen. Das Einziehen in einer größere Wohnung lenkt hier von der eigenen Unfähigkeit ab endlich Ordnung zu schaffen und verursacht auch noch höhere Kosten.
Zu (2) In Wahrheit ist diese Äußerung eine Folge der eigenen Prioritäten. Man würde sich zwar lieber noch gesünder ernähren, aber es sind einem andere Dinge wichtiger, daher behauptet man zunächst man hätte nicht genügend Mittel. Als nächstes behauptet man noch, dass der Vorteil unklar wäre – eine Abwertung – obgleich in meinen Augen klar sein sollte, dass Essen ohne Pesiziden gesünder ist als solches mit Pestiziden.
Zu (3) Besonders im Nachhinein – gerade dann auch, wenn ein Produkt nicht ganz unseren Vorstellungen entspricht, erfinden wir Gründe, warum wir etwas haben wollten oder warum wir es unbedingt brauchten. Ggf. verteidigen wir unsere Wahl sogar vor anderen trotz der Nachteile, die es hat. Das könnte der Mixer oder ein Tablet sein, den/das wir “unbedingt” brauchten obwohl die Brotbackmaschine bereits nach zweimaliger Verwendung im Schrank steht und das Tablet eben doch nicht so gut für Textarbeit geeignet ist wie zuvor erhofft. Es kann sich dabei auch um das Rennrad drehen, dass wir uns enthusiastisch gekauft haben und nun nicht verwenden können, “weil wir keine Zeit haben”. Im Falle des Fahrrades tritt aus zwei Gründen eine Dissonanz auf: wir haben Geld ausgegeben, das wir auch anders hätten ausgeben können(*) und wir haben uns eigentlich vorgenommen etwas für unsere Gesunheit zu tun (was wir jetzt nicht machen). Für beides muss “wir haben keine Zeit” herhalten.
(*) BTW: 1000 Euro zu 5% in eine eigene Solaranlage bedeutet 50 Euro Zinsen im Jahr.
Natürlich wissen die Marketing-Fachleute um den Effekt der kognitiven Dissonanz und bemühen sich die daraus erwachsenden Konflikte derart abzubauen, dass wir mehr kaufen.
Es hilft daher aufmerksam mit seinen Wünschen (“das will ich unbedingt haben”) umzugehen und sich zu fragen: “Brauche ich das wirklich?” und “Ist es sinnvoll mir das jetzt zu kaufen – wo mein Kontostand eh schon nicht der Beste ist?” und eventuell angesicht kostengünstigerer Alternativen. So spart man nicht nur Geld, sondern auch Ärger und bringt so die eigenen Finanzen ins Gleichgewicht und ggf. auch sich selbst – da unsere Wünsche sowieso nicht nachhaltig durch Konsum befriedigt werden können.
Fazit und Buchempfehlung:
Gerade weil die hier angerissenen Verhaltensmuster so universell sind, ist es ein Jammer, dass heute sogut wie keiner davon weiß. Meiner Meinung nach ist das Thema so wichtig, dass es eigentlich in der Schule gelehrt werden müsste. Wer mehr über dieses wichtige Thema erfahren möchte, dem empfehle ich ungeeingschränkt das Buch Ich habe recht, auch wenn ich mich irre: Warum wir fragwürdige Überzeugungen, schlechte Entscheidungen und verletzendes Handeln rechtfertigen von Carol Travis et al. Gebunden ist es recht teuer, aber als Kindle-Version kann man sich das gut leisten. Travis zeigt wie start die kognitive Dissonanz (Fehl-)Entscheidungen in der Rechtssprechung, der Medizin und Therapie, der Wirtschaft und Politik und natürlich – wie auch in diesem Artikel schon angerissen – im Privatleben beeinflusst. Viel Spaß bei der Lektüre!
Quellen:
- http://www.zeit.de/2011/50/Selbstbetrug
- http://permaculture.org.au/2009/12/19/the-tricks-of-the-human-mind/
- http://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz
Original veröffentlicht am: 15. Mai 2012 @ 17:38. Überarbeitet und veröffentlicht am 02.06.2016 13:40
1 Kommentar
Punktabzug für die unrechtmäßige Benutzung von „Nachhaltig“ 😉
Schöner Artikel sonst