Ein grundlegender Fehler in der Diskussion um den Sozialstaat der Zukunft ist meiner Meinung nach die Auffassung es handele sich dabei primär um ein Problem der Finanzierung. Grundsätzlich stehen zunächst die erwarteten Leistungen – z.B. Kinderbetreuung oder Altenpflege im Vordergrund. Geld allein erbringt keine Leistungen. Nur der, der damit bezahlt wird erbringt sie. Versteift man sich darauf, dass wir es mit einem rein monetären Problem zu tun haben, können z.B. in den Bereichen Kinderbetreuung und Altenpflege auf Dauer nur unbefriedigende Resultate erzielen. Einen Grund dafür sehe ich darin, dass in diesen Sektoren (von Edelaltenheimen für Reiche bzw. sehr gut versicherte Alte einmal abgsehen) nur geringe Renditen erzielt werden können, weswegen sie für Investoren gar nicht oder nur eingeschränkt interessant sind.
Obwohl also jeder in seinem Leben als Kind eine Kinderbetreuung braucht und potentiell als alter Mensch Pflege oder zumindest Hilfe braucht, also genug Nachfrage da ist, wird diese nicht bedient, da es sich für professionelle Dienstleister nur eingeschränkt lohnt ein ausreichendes Angebot zur Verfügung zu stellen.
Diese Aufgabe fällt daher dem Staat zu: er soll eingenommene Gelder nutzen und diese Leistungen möglich machen. Ein Problem tritt nun auf, wo die finanzielle Situation des Staates schlechter wird. Die Lösung der Zusatzversicherung hilft auch nur den Teilen der Bevölkerung, die sich diese leisten können und wollen. Hier wird es nun interessant, die Probleme der Unterversorgung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten bzw. Altenpflege vom nicht-monetären Standpunkt zu betrachten. Zunächst jedoch noch einige weitere Beobachtungen.
Weitere Beobachtungen.
Viele Teilaufgaben der Kinderbetreuung und der Altenpflege erfordern kein umfangreiches Spezialwissen. Ich will nicht die Berufe des Altenpflegers und des Erziehers verunglimpfen. Es ist aber so, dass ebenso wie in allen anderen Berufen auch diese Berufe Aufgaben beinhalten, die recht einfach zu erledigen sind und theoretisch von Jedermann/-frau erledigt werden könnten. Man könnte daher sagen, dass ein professioneller Altenpfleger bzw. ein professioneller Erzieher die Hilfe ungelernten Personals gut zur Unterstützung gebrauchen könnte.
Gleichzeitig haben alle in ihrem Leben einmal eine Kinderbetreuung und potentiell eine Altenpflege bzw. Altenhilfe nötig.
Märkte wie diese sind geradezu prädestiniert eine Komplementärwährung zu verwenden.
Das Modell der zeitgedeckte Komplementärwährung.
Um das fehlende Angbot zu ergänzen könnte man dieser Schlußfolgerung folgend komplementär (d.h. ergänzend und nicht ersetzend) ein Punktesystem einführen, dass wie folgt funktioniert. Jeder, der mag kann sich als freiwilliger Mithelfer in der Kinderbetreuung oder der Altenpflege für x Stunden die Woche für y Jahre zur Verfügung stellen und professionellen Kräften in diesem Bereich helfen und erhält dafür pro Stunde einen Punkt auf einem Konto gutgeschrieben. Diese Punkte können in Zukunft, sofern man selbst Betreuung für eigene Kinder oder aber Pflege bzw. Hilfe im Alter nötig hat, eingetauscht werden. Theoretisch ließen sich auf bestimmte Aufgaben unterschiedlich gewichten (1 Stunde Windelnwechseln = 3 Punkte, 1 Stunde Essen einkaufen = 1 Punkt und 1 Stunde Abwaschen = 2 Punkte). Die benötigten Punkte pro Tag eigener Hilfe könnte sich dann aus einer Durchschnittspunktezahl orientieren, die sich aus dem durchschnittlich nötigen Bedarf an Erfüllung unterschiedlicher Aufgaben ergibt.
Einfach Beispiele.
Vergessen wir einmal die unterschiedliche Gewichtung für ein paar einfach Beispiele: wer über 10 Jahre in seinem Leben fünf Stunden pro Woche geholfen hat, hat anschließend 5 Jahre 10 Stunden Hilfe bzw. Pflege im Alter gut. Für die Zeit im Kindergarten ist sogar weniger Zeit zu veranschlagen, da man sich ja vermutlich um mindestens 5 Kinder kümmern kann. Das hieße, dass wenn man also während seines Lebens 3 Jahre lang 2 Stunden pro Tag 5 Kinder betreut hat, steht einem derartige Hilfe für ein eigenes Kind für 3 Jahre und 10 Stunden pro Tag zu.
Diese zeitgedeckte Komplementärwährung hat einen weiteren Vorteil: Zeit unterliegt keinen Inflationseffekten. Eine Stunde heute ist auch noch in 10 Jahren eine Stunde. 100 Euro sind demgegenüber in 10 Jahren bei einer moderaten Inflation von 1.5% nur noch ~86 Euro wert.
Muss da jeder mitmachen?
Nicht jeder mag helfen wollen und können. Keinesfalls wiederspricht dieses Prinzip der parallelen Möglichkeit auch gegen Euros Pflege bzw. Kinderbetreuung zu erhalten. Es handelte sich ja um ein Komplementär- und nicht um ein Ersatzsystem: jeder kann, keiner muss teilnehmen. Der rentable Teil der Alten- und Krankenpflege könnte weiter im Rahmen der heutigen privaten Versicherungssysteme genutzt werden, um 1) Leute mit viel Geld zu versorgen, die keine Lust haben Punkte zu sammeln und 2) den Leuten, die Anteile an den Versicherungsgesellschaften haben Renditen zu ermöglichen (sofern sie privat organisiert sind).
Jeder der am Komplentärsystem teilnimmt erreicht für sich, dass er auf bestimmte Leistungen im Alter oder im Falle eigener Kinder hoffen kann. Personen, die jedoch nicht an dem System teilnehmen wollen, können zumindest aus diesem System auch keine Leistungen erwarten, müssen also durch zusätzlich zu bezahlende Versicherungen vorsorgen (also das tun, was heute eh gemacht wird). Die, die teilnehmen haben ggf. keine oder zumindest geringere Kosten als jetzt bzw. erhalten überhaupt oder zumindest umfassendere Hilfe und Pflege, was für weniger Vermögende aktuell nicht immer der Fall ist. Nicht zuletzt kann auch der Staat Kosten einsparen, da er nun weniger professionelle Kräfte finanzieren muss. Selbst wenn der Staat nicht so viel spart, wird mindestens das Angebot gegenüber der Nachfrage ausgeweitet.
Das kann doch niemand schaffen!
Ich denke, eine Teilzeittätigkeit ließe sich mit einer Teilnahme gut kombinieren. Genauso könnte man den Zivildienst wieder beleben. Zivildienstleistende würden etwas weniger Punkt pro Stunde gutgeschrieben bekommen, dafür jedoch zusätzlich einen montetären Ausgleich erhalten. Auch könnten Menschen, die sowieso ihre Kinder erziehen weitere Kinder für ein paar Stunden pro Tag hinzunehmen. Im Bedarfsfall könnten später Punkte zwischen dem Pflege- und dem Kinderbetreuungssystem getauscht werden. Auch ältere Menschen könnten helfen, wenn sie noch können. Natürlich spricht auch nichts dagegen, dass ’normale‘ Arbeitnehmer noch ein paar Stunden an jedem oder jedem zweite WE helfen.
Gibt es nicht schon frewillige Helfer?
Jetzt könnte man meinen, dass jeder ja auch einfach freiwillig helfen könnte – und das passiert natürlich auch – nur ist der Anreiz noch etwas größer, wenn man sich einer Gegenleistung im eigenen Bedarfsfall sicher sein kann. Ein weiterer Nebeneffekt ist die solidarische Verbindung zwischen den Menschen, die auch z.T. ohne Geld funktionieren kann und aufgrund des vorhergenannten Anreizes potentiell selbst Nutznießer zu werden zustande kommt – den viele tun das eben auch nicht freiwillig. Ich hielte das für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft für ein gute Mittel.
Was ist, wenn man nun mehr Hilfe braucht als man durch das System berechtigterweise erhalten darf? Nun, zunächst existiert weiterhin der Staat, der ein bestimmtes Kontingent an Grundleistungen in Form professioneller Kräfte zur Verfügung stelle, die z.T. auch eine anleitende Funktion für die ungelernten Helfer hätten. Gleichzeitig ist es durchaus möglich, dass man z.B. Kinder mitbetreut hat bzw. Ältere mitgepflegt bzw. diesen geholfen hat und benötigt diese Leistungen anschließend gar nicht – oder in einem geringerem Umfang, dann wäre es möglich die Differenz Bedürftigeren zur Verfügung zu stellen. Man hätte damit eine zeitgedeckte Komplementärwährung (die Punkte) um die Funktionen eines solidarischen Systems unter den daran Teilnehmenden ergänzt.
Das demographische Problem.
Nun könnte man mit Recht anmerken, dass sich das Verhältnis von Alten und Jungen ungünstig entwickelt und trotz der Ergänzung des Pflegesystems um die zeitgedeckte Komplemntärwährung letztendlich jetzt mehr Leistung gebraucht werden als später erhalten werden können und daher die jüngeren Jahrgänge im Nachteil sein werden.
Nun, das kommt auf die Perspektive an. Es steht außer Zweifel, dass die Zahl der Rentner zunimmt und auch die Zahl der Menschen, die Pflege benötigen bzw. Hilfe brauchen. Gleichzeitig gibt es aber auch viele fitte und rüstige Ältere. Es spricht im Grunde nichts dagegen, dass sich auch Ältere Prinzip gegenseitig helfen. Das findet auch bereits heute schon statt. Ich kenne eine über 65-Jährige, die noch freiwillig in Krankenhäusern oder Altenheimen aushilft. Gibt es darüberhinaus Kapazitätprobleme muss eben wieder der Staat einspringen – nur sollte das kein Fass ohne Boden sein und die Finanzierung für solche Kapazitätslücken auch möglichst generationenintern finanziert werden – da sonst der Anreiz Punkte zu sammeln verschwindet. Natürlich soll in konkreten Notfällen trotzdem Hilfe zur Verfügung stehen – nur darf es nicht gänzlich nachteilsfrei enden, wenn man sich selbst nie bereit erklärt hat zu helfen bzw. Geld zu bezahlen.
Der Anreiz sich um derartigen Bedarfsausgleich zu kümmern, sollte möglichst in der entsprechenden Generation vorliegen, den sie erhofft sich ja auch die Leistungen. Möglich wäre es für “Pechvögel” entsprechend wieder die solidarische Komponente zu nutzen, also dass die, die mehr Hilfe benötigten als sinnvoll angenommen werden konnte Hilfe aus dem Pool von Leistungen bekommen, die andere, glücklichere nicht benötigt haben – wie bei Versicherungen.
Wer jetzt meint: schöne Idee, aber das wird ja eh nichts, dem kann ich nur entgegenhalten, dass es derartige komplemtäre, zeitgedeckte Währungssystem bereits in Japan gibt, die Währung heißt dort „Hurei Kippu“, was soviel wie „Pflege-Beziehungs-Ticket“ heißt. Wie schon angespochen ist ein Nebeneffekt der erbrachten Pflegeleistungen die zusätzlichedie Stärkung sozialer Beziehungen. Neben Japan gibt es auch in Deutschland vereinzelt Engagement in kleineren Kreisen. Die Beispiele machen zudem folgendes klar: man kann mit so einem System auch klein anfangen. Ist es absolut unnötig, dass gleich ganz Deutschland teilnimmt. Das Argument: ‚Das kann ich aber nicht machen‘ zieht demnach nicht 😉
Wenn Sie sich also sorgen, um Ihre eigene Zukunft machen – sei es die Pflege/Hilfe im Alter oder die Erziehung eigener Kinder – dann stoßen Sie doch ein solches Projekt in ihrer Gemeinde an!
3 Kommentare
„da man sich ja vermutlich um mindestens 5 Kinder kümmern kann.“ und „die sowieso ihre Kinder erziehen weitere Kinder für ein paar Stunden pro Tag hinzunehmen“
Ich vermute, du hast bislang noch nie länger auf Kinder aufgepasst? Schon gar nicht mal eben 5 Stück auf einmal? In der Praxis ist das alles andere als einfach und im Grunde genommen ein (sehr anstrengender) zweiter Job neben der ganz normalen Arbeit. Was du dir das so einfach vorstellst ist schwer zu leisten.
Damit will ich der Grundidee nicht widersprechen, die finde ich schon gut.
Ein ganz anderer Punkt: Arbeit unterschiedlich bepunkten würde ich glaub nicht. Das ist doch im Prinzip das selbe, was wir jetzt schon haben: Einige Leute werden gut bezahlt, andere weniger gut, nur weil sei scheinbar unwichtigere (bzw. einfachere) Aufgaben erledigen. Aber Zeit benötigt jeder gleichviel; eine ungleiche Bezahlung fände (und finde) ich da unangemessen, auch wenn ich derzeit Nutznieser dieser Ungleichheit bin.
Also als ich im Kindergarten war hatten wir 2 Erzieherinnen für 15 Kinder.
Die waren zwar professionell aber das Verhältnis ist ja wichtig.
Ich verstehe deine Bedenken vollkommen, auf Kinder aufpassen (und sie nicht nur ruhigstellen) ist verdammte Knochenarbeit.
Aber so zwei Stunden pro Tag ein paar Kinder dazunehmen, das ist sicherlich machbar.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob das überhaupt neben der ganz normalen Arbeit geschehen soll? Eine Vollzeit Hausfrau oder ein Hausmann, dem wäre das sicher leichter möglich weitere hinzuzunehmen.
Ich weiß es halt von meiner Freundin. Die war Tagesmutter und da wird man ja pro Kind bezahlt. Sie hatte sich auch gedacht, naja, ein weiteres Kind sollte ja nicht so viel größerer Aufwand sein. Aber in der Praxis wurde das deutlich aufwendiger, als sie sich das so gedacht hat.
Wenn man, wie im Kindergarten zu zweit (oder gar zu dritt) ist, geht’s bestimmt einfacher, weil, wenn dann ein Kind Unsinn macht, hat man noch einen Erwachsenen, der sich um den Rest kümmern kann.
Ich frage mich auch, ob „so zwei Stunden pro Tag“ realistisch ist. Ich denke, viele Leute wollen ihre Kinder länger abgeben. Wenn die ständig zwischen den Erwachsenen hin- und herpendeln müssen ist das auch doof. Gerade die jüngeren brauchen Bezugspersonen.