Ein in den Medien immer wieder präsentes Maß ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es gibt den Gesamtwert aller innerhalb eines Landes und eines Jahres produzierten Waren und Dienstleistungen an und stellt so ein Maß für die ökonomische Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft dar.
Ihre Veränderungsrate gibt Auskunft über Wirtschaftswachstum (oder – schrumpfung). [Die z.T bizzar anmutende Berechnung des BIP (behandelte Verletzungen werden der Wertschöpfung zugerechnet, demnach steigt mit der Zahl der Verletzten pro Jahr das BIP an) und auch fehlende Anteile (unbezahlte Arbeit) möchte ich hier nicht thematisieren.]
Die Bedeutung des BIP ergibt sich aus der stillschweigenden Annahme, dass es besser für jeden Einzelnen ist, wenn das BIP steigt. So klopfen sich Deutsche nicht selten selbst dann gegenseitig auf die Schulter, wenn das BIP mal wieder steigt – während es beispielsweise in anderen europäischen Staate sinkt – obgleich der Einzelne im Zweifel nichts davon hat.
Diese ‘erfreuliche’ ökonomische Entwicklung ist letztlich zu einem Teil auch dem Umstand zuzurechnen, dass die Pharmaindustrie immer wieder Rekordzuwachsraten im Geschäft mit Psychopharmaka verzeichnet. Dazu passend nehmen psychische Erkrankungen aber auch körperlicher Erkrankungen in Staaten mit hohem BIP zu und in den USA sinkt die Lebenserwartung sogar wieder. Und das obwohl das Gesundheitssytem der USA das teuerste und vermeintlich bestentwickelste der Welt ist. Gleichzeitig sind nicht nur die Lebenserwartungen in einigen europäischen Staaten höher und deren Systemkosten niedriger, sondern sogar die Systemfeinde in Kuba leben kaum weniger lang (Kuba: 77.7 Jahre, USA: 78.1) und haben dabei weniger als 1/25 der Gesundheitskosten!
Der Widerspruch zwischen zunehmenden ökonomischen Erfolg und abnehmenden persönlichem Glück bzw. zunehmendem privatem Elend ist ein guter Indikator dafür, dass das ein steigendes BIP eben längst nicht das relevantestes Maß für eine positive Gesellschaftsentwicklung ist.
Andere, interessantere Maß sind in meinen Augen z.B. das Bruttonationalglück (BIG) dessen Konzept vom ehemaligen König Buthans entwickelt wurde bzw. der Happy Planet Index (HPI) der New Economics Foundation in London. Der König Buthans ist übrigends deswegen der ehemalige König des Buthan, da er 2006 selbst im Wege seiner Untersuchungen zum BIG erkannte, dass ein Volk, dass sich demokratisch regiert glücklicher ist, als eines, dass von einem Monarchen geführt wird. Seit dem ist sein Sohn König und Staatsoberhaupt – gefährt wird der Staat jedoch durch einen Primierminister (Exekutive) und eine gewählte Nationalversammlung (Quelle: Wikipedia über Politik im Bhutan)
Neben wirtschaftlichen Aspekten – wie im BIP auch – umfassen das BIG bzw. der HPI zusätzlich Faktoren wie die soziale Gerechtigkeit, die Bewahrung und Förderung kultureller Werte, Umweltschutz sowie ein funktionsfähiges Regierungs- und Verwaltungssystem.
Eingedenk dieser zusätzlichen Dimensionen und der erwähnten Umsatzsteigerungen von Psychopharmaka nimmt es nicht Wunder, dass die Rangfolge der Staaten sortiert nach BIG oder HPI anders aussieht als die Rangfolge der Staaten nach dem BIP.
Beispielhaft hier Karte, in der Staaten im Sinne ihres Happy Planet Index gefärbt sind.
Man sieht, dass die USA nicht glücklicher sind, als von echten existenzielle Nöten bedrängte Einwohner afrikanisch Staaten. Viele ökomomisch entwickelte Staaten als vom Standpunkt der Bevölkerungszufriedenheit aus betrachtet Entwicklungs- oder Schwellenländer.
Trotz der möglichen Kritik am Aufbau der konkreten Maße BIG oder HPI, stimmen die erwähnten Zunahmen beeinträchtiger Menschen in den Industriestaaten nachdenklich und werfen die Frage auf, was uns ein weiter steigendes BIP – also Wirtschaftswachstum – überhaupt bringt, wenn unsere Wirtschaftssysteme (und da tun sich sowohl Kommunismus, als auch Kapitalismus nicht viel) nicht nur die Biodiversität senken, die knappen Ressourcen unserer Erde in Höchstgeschwindigkeit in nicht-recycelbaren Müll umsetzen, das Klima erwärmen, soziale Ungleichheit schaffen und dabei noch nicht einmal die Menschen zufrieden machen können.
Es zieht den behaupteten Zusammenhang von das Wirtschaftswachstum und Zufriedenheit und damit den behaupteten Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Fortschritt in Zweifel – den was soll den ein Fortschritt sein, der zu weniger Zufriedenheit und Aufgrund geringer Nachhaltigkeit auch noch auf Dauer existenzgefährdend ist? Es bedarf meiner Meinung nach eines erheblichen Wandels in der Bewertung dessen, was Fortschritt heißt und dessen, was ökonomisch sinnvoll ist.
Statt jedoch den Wirtschaftssystem an sich die Schuld zu geben, könnte man auch einen Schritt weiter gehen und bemerken, dass letztlich unsere Lebensstil Schuld ist. Wer seinen Lebensstil freiwillig kritisch hinterfragt und anpasst, kann sich losmachen von der ohnmächtigen Angst vor ‘dem System’, das letztlich eh nichts weiter als das Konstrukt unseres kollektiven Handelns ist.
Zum Bruttonationalglück findet sich hier ein schönes Erklärungsvideo.
Tatsächlich werden auch in Frankreich und im Rahmen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Thema „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ alternative Indizes diskutiert. Noch habe ich aber meine Zweifel, dass dort damit viel erreicht werden wird. Ich denke, dass jeder Einzelne für sich schneller handeln kann und sich nur dadurch die Ausrichtung des Staates und des ihn umgebenden Systems ändern kann – weil es das sowieso nur dann tut, wenn viele Einzelne (die irgendwann die Mehrheit ausmachen) vorangehen.
1 Kommentar
[…] Ergebnissen der Messungen der Glücklichkeitsindizes Bruttonationalglück bzw. Happy Planet Index, zu denen ich bereits etwas geschrieben habe: die Menschen in vielen reichen Staaten sind trotz (wegen?) größerer materieller […]