Meditation wird in den letzten Jahren zunehmend beliebter. Das spiegelt sich auch in zahllosen wissenschaftlichen Studien zu dem Thema wider. Meditation ist darum längst kein Hype mehr, sondern mittlerweile ein anerkannter Forschungsgegenstand.
Um das Phänomen besser zu verstehen – insbesondere Formen, die ohne religiösen Glauben und Ideologien auskommen, lese ich gerade verschiedene Bücher, die aus der wissenschaftlichen Perspektive oder zumindest der des gesunden Menschenverstands an das Thema herangehen.
Dazu das Hörbuch Meditiere ich noch oder schwebe ich schon? Ein Wegweiser durch die abenteuerliche Welt der Meditation
von Timm Kruse gehört. Für eilige Leser: Was jetzt folgt, ist leider keine Empfehlung für dieses Buch. Das Buch hat meiner Meinung nach Potential, das es jedoch nicht ausschöpft. Hier ein paar meiner Gedanken und ggf. Anregungen für eine 2. Auflage. Hier ein Link zum Buch
. Hier ein Link zum Hörbuch.
Aufbau des Buchs.
Das Buch geht die meditative Praxis gelungen anhand von Gruppen durch: es unterscheidet den mentalen (z.B. Vipassana-Meditation), den körperlichen (z.B. Formen von Yoga), den schnellen (Hypnose und Pendeln) und den transformativen Weg (spirituelle Reisen).
Entgegen des Klappentextes handelt es sich also nicht allein um ein Buch nur über Meditation, sondern auch über das Fasten, Gurus, Klöster, Hypnose und Männerinitiation. Inklusive eines 2 Stunden langen Mittelteils mit geführten Meditationen bieten die verbleibenden knapp 4,5 Stunden einen anekdotischen und größtenteils autobiographischen Überblick als eine ausführlich Behandlung.
Das Buch ist kein Wegweiser.
Ein Wegweiser, wie ich ihn mir vorstellen würde, ist das Buch nicht – neutral und basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, einer wissenschaftlichen Einordnung oder zumindest auf mehr als nur einer Meinung – der Meinung des Autors.
Kruse erzählt überwiegend von seinen eigenen Erfahrungen, von denen die Mehrheit positiv war. Mir haben insbesondere die Beschreibung der Vipassana-Meditation gefallen.
Bei Techniken wie der Quantenlichtatmung (QLB) oder den sog. Clarity-Prozess fällt es mir schwer, die Distanz zu sehen, die der Autor zur Esoterik einnimmt. Beide Begriffe sind weder in der Wikipedia, noch in einem medizinischen Fachartikel zu finden. Mir ist bewusst, dass nicht alles, was es wert ist, schon Gegenstand einer rigorosen wissenschaftlichen Untersuchung war. Um zu entscheiden, ob QLB und der Clarity-Prozess dazu gehören, fehlen mir Hintergrundinformationen sowie eine Einordnung in den Kontext anderer, bereits untersuchter Methoden oder Konzepte. Ohne eingehende Überprüfung erscheint mir insbesondere der Begriff QLB als unglücklich, weil er den Eindruck erweckt, etwas mit der physikalischen Quantentheorie zu tun zu haben. Der Clarity-Prozess scheint mir eine Mischung aus MBSR-Meditation und Gesprächspsychotherapie zu sein. Aber, ob das stimmt – keine Ahnung. Von einem Wegweiser hätte ich mir eine solche Einschätzung erwartet. Vielleicht kann das in einer 2. Auflage nachgepflegt werden.
Lediglich vor zu teuren oder zunehmend teurer werdenden Seminaren, Scientology und analogen Kulten warnt Kruse – das ist mir persönlich zu allgemein und rechtfertigt nicht den Anspruch eines Wegweisers.
„Raus aus der Eso- bzw. Spiri Ecke“ – leider nur zum Teil
Hier einige Beispiele dafür wo und wie im Buch keine ausreichende Distanz zur Esoterik gehalten wird.
Reinigungsprozessen beim Fasten. Der Autor spricht im Kapitel zum Fasten immer wieder über dadurch angestoßene Reinigungsprozesse – wie auch viele andere Bücher zu dem Thema. Kruse geht etwas weiter und erwähnt den Abbau von AGEs (advanced glycation end products). Leider ist aber auch seine Darstellung immer noch irreführend oder zumindest verkürzt.
Beim Fasten – wie auch bei jeder kalorienreduzierten Diät – nimmt u.a. die Bildung von AGEs, ab. Das sind Reaktionsprodukte von Zucker mit Proteinen. Diese verhindern u.a. die korrekte Proteinfunktion. Erklären lässt sich das aber weniger über einen zusätzlich, durch das Fasten angestoßenen Reinigungsprozess, sondern einfach dadurch, dass durch die gestoppte oder reduzierte Zuckeraufnahme einfach kein Zucker mehr mit Proteinen reagieren kann. Grundsätzlich entledigt sich unser Körper permanent von Proteinen. Und das tut er auch während des Fastens. Nur, dass beim Fasten eben weniger oder kein Material (=aus der reduzierten oder ausgesetzten Ernährung) – für die Bildung von u.a. AGEs (i.e. „Müll“) nachgeliefert wird.
Pendeln. Pendeln beschreibt Kruse als angebliches Tor zu Kommunikation mit unserem Unterbewussten. Was auch immer das bedeuten mag. Pendeln ist kein Thema, das hilft Spiritualität zu entgeistern.
Eneagramme. Nach dieser Theorie wird der Mensch in Typen eingeteilt. Sie entbehrt jedoch jeder wissenschaftlichen Grundlage und sollte in keinem Buch und keinem Seminar mit neutralem oder wissenschaftlichen Anspruch stehen.
Fehler und Inkonsistenzen.
Spirit-Übersetzung. Der Autor erläutert zu Anfang des Buches, was Spiritualität ist und erklärt dabei, dass sich das Wort vom Englischen spirit ableiten ließe, aber sich in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht übersetzen lasse. Das stimmt einfach nicht. An der Stelle habe ich mich dann gefragt, ob es für einen Journalisten – wenn man schon keine altsprachlichen Kenntnisse hat – tatsächlich zu viel verlangt ist, mal nachzuschauen. Spirit leitet sich vom lateinischen Wort spiritus ab, das u.a. mit Atem übersetzt wird. In dem Zusammenhang wäre es zwar nicht mehr ganz so leicht, aber immer noch hinreichend einfach gewesen, ins altgriechische zu schauen, um zu erkennen, dass das Wort für Atem und Hauch (psukhḗ), die Basis für modernes Wort Psyche bildet. Sowohl sprachgeschichtlich als auch in vielen meditativen bzw. spirituellen Praktiken hängen also Seele, Leben und Atem eng zusammen. Wenn man dann noch bedenkt, dass das Wort Psychologie von Psyche kommt und sowohl Psychologie, als auch Medizin in den letzten Jahren einen Narren am Thema Meditation gefressen hat, hätte man auf Basis der Wortbetrachtung leicht einen interessanten Einstieg in das Thema konstruieren können.
Fasten-Definition. Kruse besteht darauf, dass der Begriff „Fasten“ nur gebraucht werden darf, wenn nichts festes gegessen wird. Ansonsten, so sagt er, wird der Begriff „missbraucht“. Tatsächlich bezieht sich seine Definition aber auf das sogenannte absolute Fasten. Fühlt euch also beim Gebrauch des Wortes Fasten dadurch jetzt nicht eingeengt.
7 * 7 = 49. Im Teil zum 40tägigen Fasten spricht Kruse mehrmals von seiner 6. und von seiner 7. Fastenwoche. 40 Tage ergeben allerdings nur 5 Wochen und 5 Tage. Ein solches Versehen, das ein kompetentes Lektorat mit einer einfachen Rechenoperation (kleines Einmaleins ;-)) hätte beheben können – könnte ja sogar lustig sein, wenn es nicht so symptomatisch für die Ungenauigkeiten und Fehler im Buch wäre. In diesem Kontext sind auch den folgenden formalen Kritikpunkt zu verstehen.
Literatur, Apps und Tipps. Zu jedem Thema gibt es eine Rubrik: Literatur, Apps und Tipps. Diese wird aber so gut wie nie ausgeführt. App-Empfehlungen gibt es z.B. so gut wie nie. Auch auf die Gefahr pedantisch zu wirken: mich irritiert es, wenn ich jetzt denke, es kommt noch mal einem App-Empfehlung und letztlich gibt es dann fast nie eine.
Fazit
Ich schreibe ungern negative Rezensionen. Ich konzentriere mich lieber auf Bücher, die ich gut finde und lasse weniger gute Bücher unerwähnt. Ich habe hier eine Ausnahme gemacht, weil ich denke, dass das Buch trotz meiner Kritik Potential hat. Ich befürchte, dass das Buch in seiner jetzigen Form zu viele Leute, die sich ein wenige für Meditation und Spiritualität interessieren vom Thema abschrecken. Ich denke, eine Überarbeitung könnte das Buch zu einem nützlichen Wegweiser machen. So ist es das noch nicht und ich muss davon abraten. Eine Alternative stellt das augenblicklich leider nur auf Englisch verfügbare Buch „Waking Up: A Guide to Spirituality Without Religion
“ von Sam Harriss dar, zu dem ich beizeiten auch eine Rezension veröffentlichen werde.
Ein Hörbuch gibt es auch. Hier der Link dazu.
In einigen Wochen werde ich zudem selbst einen Text zum Thema Meditation veröffentlichen, an dem ich bereits seit einigen Wochen arbeite.