Der Besitz einer Maschine für den Individualverkehr ist anachronistisch. Das Versprechen von Freiheit und Potenz kann in einer Zeit der aller örtlichen Überfüllung kaum noch realisiert werden. Gefühlt ist die Stadt (hier: Hamburg, aber ich denke Analoges gilt für jede andere Stadt in Deutschland) von Tag zu Tag näher am absoluten Verkehrsinfarkt. Nicht nur die Straßen sind voll, sondern auch alle Straßenbegrenzungen sind absolut zugeparkt. Und ich meine zugeparkt. Nicht selten komme ich selbst in Nebenstraßen 10-20 Meter Abschnitte ohne akrobatische Fähigkeiten kaum noch zwischen den dichtgepackten Autos vorbei. Mit dem Fahrrad kann man das gleich ganz vergessen.
Inkludiert man alle Kosten gibt es kaum ein Auto, das substanziell weniger als 4-500 EUR im Monat kostet (der ADAC liefert dazu sehr viel Zahlenmaterial). Wer ein Auto nicht WIRKLICH braucht, gibt also zwischen 20-25% eines mittleren Einkommens (2.000 EUR netto) für die Illusion von Freiheit aus. Konservativ geschätzt würde der Erhalt entsprechender Kosten für das Ziel finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen bedeuten, dass ihr 150.000 EUR extra sparen müsst ( (500 EUR * 12) / 0,04 = 150.000 EUR). Wer keine derartigen Ziele verfolgt: ihr gebt bei einem mittleren Gehalt dafür eine ganze Woche arbeiten. EINE WOCHE! Nur für euer Transportmittel! Es ist ein freies Land, natürlich, aber man sollte sich dessen wenigstens bewusst sein!
Mir erklärt sich der Autobesitz insbesondere in Großstädten nicht, da es heute so leicht wie noch nie ist sich kurzfristig bei einem von diversen CarSharing-Anbietern ein Auto zu leihen. Das war das eigentliche Thema des Artikels. Entschuldigt das Gerante – oder auch nicht.
Greenwheels z.B. liefert schöne Use Cases: hier. Auch Cambio ist cool. Eigene Rechnung (basierend auf Greenwheels): Selbst wenn ihr euch einen VW Up! 6x die Woche für 3 Stunden leiht und circa 30km fahrt, kostet euch das „nur“ 360 EUR im Monat. Noch etwas günstiger ist es, wenn ihr fest 10 EUR im Monat zahlt, dann bekommt ihr ein paar Freikilometer extra. Klar: man muss den Wagen frühzeitig buchen und ggf. zwischen 2-3 Wagen in der Nähe pendeln. Aber so wie ich den aktuellen Verkehr einschätze, muss man ja eh etliche Minuten für die Parkplatzsuche und die Laufzeit planen – egal, ob man ein eigenes oder fremdes Auto hält.
Es hört sich ja für manche immer wieder extrem an: aber ich würde eher umziehen, als ein Auto zu kaufen. Ich finde es extrem jeden Tag x km zu fahren. Oder eben 10km mit dem Fahrrad fahren. Das geht mit etwas Übung. Einkäufe sind auch nur eine schwache Ausrede:
- Für schwere Dinge (bei den meisten nicht wirklich oft): Carsharing
- Für normale Einkäufe – wie wäre es mit einem Rucksack? Zur Not: Lastenrad?
- Ansonsten: bestellt’s euch nach Hause! In Deutschland machen das mittlerweile zumindest REWE und Edeka. Bald kommt noch Amazon Fresh dazu. Ich mag Jeff Bezos zwar, frage mich aber wieso wir, das Land der Aldi-Brüder das schlechter hinbekommen als die Briten: dort gibt es schon seit vielen Jahren zig Bestelldienste. Die meisten haltbaren Dinge sollte man meiner Meinung nach sowieso alle 6-12 Monate in einer großen Ladung bestellen. Damit erübrigt sich auch ein Großteil der Vorbereitung für die Zombie-Apokalypse (ihr wisst, schon, der Zeitpunkt, ab dem die Fleischpreise zu hoch sein werden…)
Die Fahrt zum Kindergarten: okay, klar, dass geht heute nur noch im Panzer. Mein Vater musste früher noch die 5km mit mir Radfahren: die Leute hatte nichts in den 80ern! Das geht heute natürlich nicht mehr. Heute ist Krieg. Diese ganzen Gefahren. Völlig verrückt! Insbesondere in Großstädten. Heute braucht man mindestens einen X5 oder Q7 – wie soll man sonst seine Familie schützen? Und vor allem: wie soll man auch sonst in einem Auto vernünftig sitzen? D.h. wie auf der Couch vorm Fernseher m)
Nur um hier keiner Neo-Luddistischen Vermutung Vorschub zu leisten: ich freue mich sehr auf die Zeit, wenn Tesla, Google und Fiat oder auch Apple + X endlich die ersten Tarife für ihre selbstfahrenden Autos anbieten. Leider wird das wohl aber noch ein paar Jahre dauern – von denen sicherlich 90% für die juristischen Fragen draufgehen werden.
Bis dahin: cool wäre es doch, wenn alle mit Auto, die Lust habe nebenher auch Taxi-Fahrer wären. Das hat es schon einmal gegeben. In den USA nannten die sich Jitneys. Die wurden dann zunächst von den Straßenbahnbetrieben juristisch platt gemacht, bevor diese dann von Autoherstellern – allen voran General Motors – gekauft und stillgelegt wurden. Heute könnte man das sehr einfach per App lösen. UberPop war ja dem Grunde nach eine gute Idee. Wenn aber schon durch Vermittlung der Fahrdienstleistung 20% an das Portal gezahlt werden müssen, ist das schon krass. Und es gibt noch weitere Probleme. Cool wäre es aber, wenn ich einstellen könnte, das ich heute da und da hinfahre, einen Knopf drücke, der sagt, dass ich x-mal für y Personen auf der Strecke bereit wäre zu halten und dann einfach Leute mitnehmen könnte. Mal gucken, vielleicht kommt sowas ja noch.
Bis dahin: vermeidet ein eigenes Auto, wenn ihr könnt (<- und prüft das gründlich!), fahrt Rad, fahrt ingesamt weniger (ist ja auch Lebenszeit!), zieht ggf. um. Und falls ihr doch mal Auto fahrt: versucht es zu genießen, sofern das möglich ist. Den eigentlich ist es der phantastisch das wir komischen haarlosen Affen mit Maschinen umgehen die den x-fachen Energie-Output haben, den wir mit unseren kleinen Muskeln so erzeugen können. Stattdessen schimpfen viele im Auto mindestens so viel wie ich hier heute 🙂
2 Kommentare
380€ im Monat kostet mich ein 1er BMW mit fast nackter aber immer noch besserer Ausstattung als bspw. die genannten Ups.
Wirklich alles inklu in den 380. Winterreifen, Aufbereitung vor Leasingrückgabe, Sprit, Versicherung, Steuer….
Wir haben es ein Jahr lang mit Carsharing probiert. Nur in der Stadt funktioniert das tatsächlich. Aber sobald man nur 2x im Monat bspw. über das Wochenende ein Auto braucht lässt man ca. 280€ bei Sixt und Co. inkl. Sprit liegen. Dann nochmal 100 fürs Carsharing und ich kann mir gleich eines vor die Tür stellen. Parken in Frankfurt ist durchaus möglich.
Nichts gegen das Teilen, aber es ist einfach billiger sich ein normales Auto vor die Tür zu stellen. Und es ist immer verfügbar und Kapital ist auch keines gebunden.
Schöner Beitrag. Für die meisten Dinge kann ich in Hamburg auch auf ein Auto verzichten. Die Innenstadt ist generell immer voll, daher fahre ich mit der Bahn zur Arbeit. Einkaufen gehe ich zu Fuß oder mit dem Rad. Nur ein Problem gibt es – das Auto ist mein Hobby. 🙂
Nichtsdestotrotz versuche ich Fahrten aus „Faulheit“ zu vermeiden, sodass ich damit auch entsprechend spare.