“Finanziell unabhängig ist, wer aus den Zinseinnahmen oder anderen Gewinnen seiner bereits bestehenden Kapitalanlagen seine Lebenshaltungskosten dauerhaft und komplett decken kann.” Eine Definition für absolute finanzielle Unabhängigkeit. (1)
Es kommt also auf die Lebenshaltung an und was diese kostet. Es kommt darauf an, was man WIRKLICH braucht. Das ist kein banaler Punkt.
Wer zwei Autos fährt, in einem Haus mit 3 Schlafzimmern und 2 Badezimmern wohnt, eine Garage hat, zwei mal im Jahr für mehrere tausend Euro in den Urlaub fahren “muss”, alle paar Jahre neue Möbel, alle paar Monate neue Kleidung… braucht, für den wird es schwierig finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen.
Selbst mit hohem Gehalt kann das eine unmögliche Aufgabe werden.
Benötigt man hingegen nur eine kleinere Wohnung, hat vielleicht gar kein Auto und hat Hobbys, die wenig oder nichts kosten, hat man deutlich bessere Chancen.
„Reich sein“ vs. „finanzielle Unabhängigkeit“
“Reich sein” oder “viel Geld” verdienen wollen offenbar sehr viele.
Warum eigentlich? Um nicht mehr arbeiten zu müssen, sich Träume erfüllen zu können und sich alles kaufen zu können. Es geht also um Wünsche.
Um reich zu werden, empfehlen Ratgeber, man solle sich die Dinge, die man “will” wiederholt möglichst bildlich vorstellen, um so das eigene „Unterbewusstsein“ zu programmieren (Operante Konditionierung). Ähnlich wie in der Werbung weckt diese Programmierung jedoch erst recht (materielle) Wünsche bzw. lenkt natürlichen Bedürfnisse auf materielle Dinge um. Finanziell unabhängig wird man so nicht, sondern erhöht nur seine Ausgaben. Die Erfüllung der materiellen Träume/Wünsche kostet Geld. Die meisten Wünschen und Bedürfnissen sind aber nicht durch materielle Dinge erfüllbar. Ich vermute, jeder hat folgendes schon einmal erlebt: erst will man etwas, und wenn man es hat, ist es schon nicht mehr so interessant (*) und nach ein paar Wochen/Monaten will man etwas ganz anderes.
(*) Wenn Vorfreude und Freude über die Erfüllung eines Wunsches sehr auseinanderfallen, ist das für sich schon ein guter Hinweis darauf, dass nicht die materielle Wunscherfüllung im Vordergrund stand.
Eine oberflächliche Erklärung ist, dass sich materielle Bedürfnisse ändern (böse formuliert: wir können uns nicht entscheiden). Eine Variante davon ist: weil sich die materiellen Bedürfnisse ändern, sind sie praktisch unbegrenzt. Ist das nicht zufällig ein ökonomischer Lehrsatz? „Die Bedürfnisse des Menschen sind unbegrenzt.“
Solange man nicht durchschaut, dass man durch die Erfüllung immer neuer materieller Träume nie glücklich wird, wird man vor allem eins tun: viel Geld ausgeben und NICHT finanziell unabhängig werden. Ich denke, wir sorgen uns zu wenig um unsere wahren zugrunde liegenden Bedürfnisse, da wir glauben, keine Zeit für sie zu haben. Und als Trostpflaster konsumieren wir. Anstatt Pianist zu werden, kaufen wir uns nur das teure Klavier und müssen dafür dann monatelang arbeiten (denke euch gerne eine für euch passendere Anschaffung oder Anschaffungen aus!).
Es ist eine Zwickmühle. Eine Zwickmühle, die nur durch eine Vision gelöst werden kann. Mancher wirft sich vielleicht dem einen großen Traum entgegen: kündigt seinen Job und fängt an zu schreiben oder ein eigenes Geschäft hochzuziehen. Eine andere Möglichkeit ist es, die leere Wirkung des Konsums zu durchschauen, ihn auf ein Minimum zu reduzieren.
Man kann dann entweder „auf der Ökonomie“ leben – d.h. man verdient sich eben nur die nötigen paar hundert Euro mit einem Teilzeitjob – oder man arbeitet in einem Job, der okay ist, lebt währenddessen spartanisch, erreicht relative oder absolute finanzielle Unabhängigkeit und lebt „neben der Ökonomie“.
Um finanziell unabhängiger zu werden, gibt es grundsätzlich zwei Strategien:
- mehr Geld anhäufen
- weniger Geld benötigen
Ich glaube, dass 2. vielversprechender als 1. ist.
Weniger Geld zu brauchen ist in letzter Konsequenz nicht nur der leichtere Weg zur finanziellen Unabhängigkeit, sondern auch zu tatsächlichem finanziellen Reichtum – wofür der auch immer gut sein soll. Nicht wenige sogenannte Reiche sind genau darum reich geworden, weil Sie nicht von Sportwagen oder Fernreisen geträumt haben, sondern weil Sie wenig brauchten – und viel Geld verdienten.
Um mit weniger Geld gut auszukommen und wohlhabend zu sein, ist es wichtig, sich davon zu überzeugen, dass die wenigsten unserer wahren Bedürfnisse etwas mit Geld zu tun haben. Es ist etwa bekannt, dass Menschen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt oft glücklicher sind, als die Menschen der alten, ersten Welt – obwohl sie weniger haben. (2)
Dass „mehr haben“ und „glücklich sein“ etwas miteinander zu tun haben, ist ein Erfindung der Werbung. Mit Werbung versuchen Hersteller, Produkte emotional an unsere inneren Bedürfnisse zu binden. Das Auto an das Bedürfnis nach Macht, Eindruck und sexueller Potenz. Wein an Sinnlichkeit und Zärtlichkeit. Essen und Süßigkeiten an fröhliches Miteinander. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.
PR (public relation) ist im Wesentlichen eine Form von Produktpropaganda. Edward Bernays (3) hat die Propaganda für Produkte erfunden und PR genannt. Das tat er, weil dem damals neuem Begriff PR nicht die negative Bedeutung des Wortes Propaganda anhaftete (4).
Dinge, die man wirklich braucht, sollten keine Propaganda benötigen, meint ihr nicht?
Wenn ihr also finanziell unabhängig werden wollt, um nicht mehr arbeiten zu müssen und, um sich ALLES kaufen zu können, ist es am wichtigsten zu wissen, was ALLES wirklich sein muss. Dazu ist es nötig, kritisch zu hinterfragen, was man denn tatsächlich braucht und was wir uns selbst einreden oder was uns die Werbung einredet.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2002 erklären 80% der Hamburger: „Eigentlich habe ich alles, was ich brauche. Mehr Konsumgüter würden meine Lebensqualität insgesamt nicht wirklich erhöhen.“ (5) Ich denke, das kann man in ähnlicher Weise auch auf andere Bundesländer oder auch Österreich oder die Schweiz beziehen.
Gehört ihr auch dazu? Worauf wartet ihr dann noch: Hört sofort auf Geld für unnötige Dinge auszugeben!
(1) http://www.geld-wissen.com/finanzielle-unabhaengigkeit.html
(2) Das ist nicht nur ein oberflächlicher Eindruck. Der Dalai Lama schreibt in “Das Buch der Menschlichkeit” irgendwo in der Einleitung, er habe immer wieder erlebt, dass gerade die Menschen aus der ersten Welt weniger glücklich sind, als solche in den Entwicklungsländern.
(3) Edward Bernays ist übrigends ein Neffe von Sigmund Freud. Wen die Geschichte der PR interessiert, kann sich ja mal den esten Teil “The Happiness Machine” der BBC Dokumentation The Age of The Self ansehen. Wenn jemand deutsche Quellen hat, wäre das toll!
(4) Lesen Sie sonst mal hier: http://www.selbstaendig-im-netz.de/2008/06/24/buecher/propaganda-edward-bernays-pr-klassiker-im-review/
(5) UBA (2002/06) Umweltbundesam (Hrsg.): Nachhaltige Konsummuster, ein neues Umweltpolitisches Handlungsfeld als Herausforderung für die Umweltkommunikaiton, Berichte 6/02 Berlin.
Original geschrieben am 24.04.2011. Geändert am 13.01.2016.
Propaganda
3 Kommentare
[…] Wer sich jetzt denkt: auf den Luxus möchte ich nicht verzichten, sollte sich lieber überlegen, worauf er verzichtet, wenn er sich nicht einfach den Kaffee selbst kocht usw. Ist es das wirklich wert? Dazu sollte man sich grundsätzlich über seine Wünsche und Bedürfnisse klar werden. […]
[…] ökonomisch adäquater zu handeln, Zeit- und Geldaufwendungen besser zu gewichten, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche besser zu verstehen und ggf. zu kontrollieren, dass kann man kaum allein der Bevölkerung zuschieben. Vielmehr ist es […]
Das war die Anleitung zum Zufriedensein in einem einzigen Artikel, kein Witz. Ich sehe manche Dinge nicht ganz so „radikal“ wie du – beispielsweise glaube ich nicht, dass es nötig ist, die Arbeit als Durststrecke zu betrachten, die es nach Erreichen eines Vermögens X zu beenden gilt, aber im schlimmsten Fall stimmt das natürlich – wenn Arbeit reines Geldverdienen ist und keine Erfüllung bietet.
Es ist tatsächlich erschreckend, wieviele Menschen (in vernünftig bezahlter Anstellung) über zuviel Arbeit und zu wenig Geld klagen, während sie ihre sauer verdiente Kohle wie ferngesteuert für ständig neue Klamotten, Urlaube, neueste Technik und Autos ausgeben und sich in einer hoffnungslosen Konsumspirale drehen. Man muss sich mal überlegen, was man mit 20.000 Euro – für die manche Menschen mit Freuden einen Kredit aufnehmen, um eine „schicke“ Karre zu kaufen – alles anfangen kann! Bei einem Nettojahresgehalt von 20.000 Euro könnte man davon ein Jahr nicht arbeiten gehen oder 5 Jahre (!) einen Tag pro Woche weniger arbeiten. Oder man könnte es zur Aufbesserung der Rente anlegen.
Am Ende des Tages ist die schicke Karre nämlich so interessant wie die Designerjeans aus dem letzten Jahr oder die Fernreise des letzten Sommers und der Mensch ist auf Dauer kein bisschen zufriedener als zuvor. Und selbst die, die am Ende der Kette derer sitzen, die anderen Anerkennung, Liebe und Glück durch Konsum versprechen, chillen zum Schluss auf ihrer Yacht, umgeben von Mitläufern und schleimigen Bewunderern, und stellen zwischen Karibik und Monte Carlo verwirrt fest, dass sie immer noch nicht genug haben, um glücklich zu sein.