Es gibt Unterschiede in der Auffassung von dem, was finanzielle Unabhängigkeit (FU) oder finanzielle Freiheit (FF) bedeutet.
Für die einen ist finanzielle Unabhängigkeit schon erreicht, wenn sie mit ihrem Geld im Alltag klar kommen.
Die absurdeste Definition dessen, was man unter finanzieller Unabhängigkeit verstehen kann, habe ich hier gelesen. Dem Artikel nach, kann man sich finanzielle Unabhängigkeit durch einen Kredit “holen”.
Meiner Meinung nach ist das ein fehlgeleitetes und sachliche falsche Aussage: ein Kredit, der per Definition erfordert, dass man nicht nur das geliehen Kapital, sondern zusätzlich Zinsen zurückzahlen muss hat nichts mit finanzieller Unabhängigkeit zu tun – im Gegenteil man begibt sich in finanzielle Abhängigkeit. Finanzielle Unabhängigkeit durch Kredite ist nur erreichbar, in dem man die Schulden besitzt.
Der Preis, etwas jetzt haben zu können, dass man sich eigentlich nicht leisten kann, bedeutet effektiv, man bezahlt mit Geld aus der Zukunft.
Genau an diesem Problem krankten ja aktuell alle möglichen Staaten in der Welt wie auch Privatpersonen und Firmen. Man setzt sich selbst und freiwillig unter Rückzahlungszwang und gibt damit die Kontrolle bzw. den Besitz über einen Teil der eigene zukünftigen Geldeinnahmen – und damit der dazu benötigten Zeit in andere Hände ab. Wir arbeiten also sprichwörtlich für jemand anderen.
Kreditfinanzierte Ausgaben sollten sehr wohl überlegt sein und sollten nur im Falle sinnvoller (= ertragbringender) Investitionen getätigt werden. Aber ich schweife ab.
Eine andere Definition für finanzielle Unabhängigkeit besagt folgendes:
Ausgaben <= passive Geldeinnahmen
wobei die passiven Geldeinnahmen aus Dividenden, Zinsen, Renten usw. bestehen können. Eine weitere Möglichkeit finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, lässt sich durch folgenden Zusammenhang ausdrücken:
Für die Anzahl der verbleibenden Lebensjahre ist:
Kapital + passive Geldeinamen >= Ausgaben
Das heißt, dass das Kapital mit der Zeit weniger wird – jedoch nur so langsam, dass es bis zum Lebensende ausreicht.
Eine dritte Möglichkeit besteht darin den Geldbedarf durch einen minimalistischen Lebensstil zu verringern, so dass für die Deckung der eigenen Kosten ein Halbtagsjob, ein kleines Geschäft o.ä. ausreicht. Zusätzlich etwas angelegtes Kapital macht Arbeitspausen und oder weniger Stunden Arbeit möglich.
Die passende Formel dazu lautet:
Ausgaben - Einsparungen <= passive Einnamen + Kapital + Einkommen
Einsparungen werden durch geringeren Verbrauch und/oder z.B. Teil-Selbstversorgung oder Eigenproduktion erreicht: Für jede 100 Euro, die im Monat dauerhaft eingespart werden, müssen 30.000 Euro an Kapital weniger zur deren Deckung angelegt werden (bei angenommenen 4% effektiver Verzinsung).
Etwas anderes als finanzielle Unabhängigkeit ist finanzielle Freiheit. Finanziell frei sind Personen, die sich keine Gedanken machen müssen, wenn sie etwas kaufen möchten, was über das Budget der finanziellen Unabhängigkeit geht: sie leistet es sich einfach.
Jemand, der hingegen “nur” finanziell unabhängig ist, kann nur im Rahmen eines bestimmten Budgets bleiben und läuft sonst Gefahr die finanzielle Unabhängigkeit zu verlieren.
Allgemein könnte man schreiben:
Kapital (finanzielle Freiheit) >= Kapital (fin. Unabhängigkeit)
Finanzielle Freiheit erfordert also wesentlich mehr Kapital – und erfordert umgekehrt weniger Disziplin, eigene Bedürfnisse und die Variante zu deren Befriedigung nach Notwendigkeit, Wichtigkeit und Luxuriösität zu sortieren.
Eine interessante Beobachtung ist, dass vielen Menschen ihr Ansehen zwar wichtig ist und sie dieses aus demonstrativer Leistungsfähigkeit beziehen, viele sich dann aber sich finanzielle Freiheit wünschen – also einen Zustand, der weniger Disziplin und Leistung erfordert, was nach dieser Vorstellung dann eigentlich mit weniger Ansehen verknüpft sein sollte.
Person 1 mit großem Haus, unproduktiven Rasengarten und mit einem SUV und einem Sportwagen vor der Tür mag – trotz hoher Schulden – ökonomisch erfolgreicher erscheinen, als Person 2, der mit ausgeglichenem Kontostand in einem kleinen Haus oder Mietwohnung wohnt. Doch der Schein kann trügen. Person 2 könnte z.B. Aktien der Bank besitzen, an die Person 1 Zinsen zahlt. Aus diesen Zinseinnahmen erhält Person 2 Geld für seine Miete.
Der eine besitzt zwar formal mehr und scheint erfolgreicher – tatsächlich ist aber das Umgekehrte der Fall.
8 Kommentare
Hübscher Artikel über Sein und Schein. Bedürfnisse haben die Tendenz zu wachsen je mehr man sich bemüht sie zu stillen. Schreiben wir als Formel also:
Zufriedenheit = Bedürfnisse/Befriedigung
Dann spricht einiges dafür seine Bedürfnisse zu reflektieren anstatt zu versuchen sich „alles greifbar“ zu machen. So kommt man schneller ans Ziel und vermeidet Dekadenz.
Hi,
ich habe deinen Blogartikel gelesen. Folgendes ist mir aufgefallen.
1. Formel finanzielle Unabhängigkeit: Ausgaben größer/gleich passive Geldeinnahmen?
Ich würde da eher umgekehrt rangehen: Ausgaben kleiner/gleich passive Geldeinnahmen. Also A.<=p.G.
2. Formel
Wo ist der Zeitfaktor in deiner Formel? Weiter kann man nicht spekulieren, wann man genau ins Gras beißt.
Bei deiner Formel wird das Kapital größer und nicht kleiner. Das Zeichen also bitte umdrehen wie in der 1. Formel.
3. Formel
Die Einsparungen z.B. durch Selbstversorgung kann man optisch auch gut als Einnahme auf der rechten Seite stehen lassen z.B. wie gesagt nur Optik – mathematisch aber o.k.
Ausgaben < = passive Einnahmen + Kapital + Einkommen + Einsparungen (Selbstversorgung)
Was mich stört ist, dass du nach der Formel dein ganzes Geld auf den Kopf hauen kannst und dich trotzdem finanziell unabhängig fühlst. Vielleicht ist es besser einen Notgroschen mit einzubauen – also einen Puffer für schlechte Zeiten. Die Permakultur lebt doch auch von Puffern und Redundanzen.
Viele Grüße
Enrico
Hallo ushy,
ich würde die Formel eher umkehren: Zufriedenheit = Stillung* / Bedürfnisse.
*(Ich habe Befriedigung mal Stillung genannt).
Je mehr Stillung desto mehr Zufriedenheit.
Je weniger Bedürfnisse, desto mehr Zufriedenheit.
Das ist die gröbste Fassung. Noch genauer wäre eine Formel, die berücksichtigt, dass wir eine bestimmte Zahl minimaler Bedürfnisse haben, die alle ein Mindestmaß an Stillung benötigen
Zufriedenheit = a * (Stillung zu Grundbedürfnis A) + b * (Stillung zu Grundbedürfnis B) + … + z ( ‚Zeit und Resourcen für die Stillung aller anderen Bedürfnisse‘ / alle anderen Bedürfnisse).
Der erste Teil der Gleichung repräsentiert eine Summe von Produkten. Die Stillung der Grundbedürfnisse (z.B. Essen, Schlafen …) A, B kann nicht größer als 1 werden (ideale Stillung ) sein. Ihre Stillung geht entsprechend der Proportionalitätsfaktoren a, b… in die Zufriedenheit ein. Das ist natürlich auch nur eine Näherung. Tatsächlich sind diese a, b auch Funktionen; da man ja z.B. auf die Dauer nicht ohne Schlaf oder Essen auskommt und umgekehrt bei dauerhafter Befriedigung der Grundbedürfnisse kaum noch Notiz von diesen Bedürfnissen nimmt, sie also weniger zur Zufriedenheit beitragen.
Genaugenommen hängt auch der Gesamtwert der rechten Gleichung nochmal davon ab, dass bestimmte Stillungswerte für die Grundbedürfnisse A, B, … nicht unterschritten werden – es kann also auch die Zufriedenheit auf Null gehen, wenn wir kein Essen mehr haben…
Der Restterm mit dem Proportionalitätsfaktor z beschreibt nun Folgendes: je mehr Bedürfnisse ich nun meine haben zu müssen, desto mehr treten diese in direkte Konkurrenz zu allen meinen anderen Bedürfnissen, um meine freie Zeit und Ressourcen (e.g. Geld). Je mehr ich also davon habe, desto schlechter ist das für meine Zufriedenheitsbilanz.
Bei guter Stillung der Grundbedürfnisse kann sogar der Proportionalitätsfaktor z, der also die Zufriedenheit aus ‚alle anderen (nicht grundlegenden) Bedürfnissen‘ festlegt dominant werden, da ich von den Grundbedürfnissen keine Notiz mehr nehme.
Das kann sich freilich schnell wieder ändern.
Ich denke hier liegt ein Problem der Menschen überhaupt: sie werden Betriebsblind: sie glauben zu leicht, weil etwas schon immer so war, würde es schon immer so sein.
Moin Enrico,
ja, bei Formel 1 hatte ich einen Dreher, dass habe ich korrigiert.
Formel 2 gibt es natürlich auch mit Zeitabhängigkeit, die ist jedoch deutlich komplizierter. Wenn gewünscht, kann ich sie trotzdem vorstellen.
Ich denke, man kann sich da schon etwas herantasten. Ich denke, niemand, der das hier ließt wird in 100 Jahren noch leben. Daher könnte man 100 Jahre als Wert verwenden. Sicherer ist es natürlich, wenn das passive Einkommen für immer reicht – wie die Bedingung aus Formel 2 angibt.
NB: In Formel 2 ist das Kleiner-Gleich-Zeichen richtig herum! Schließlich sollen ja pG und K zusammen nicht kleiner oder gleich Ausgaben sein.
Die Einsparungen stehen ‚extra‘ auf der linken Seite. Tatsächlich müsste da sogar eher „‚Aussgaben vorher‘ – ‚Einsparungen'“ stehen – immerhin sind ja auch niedriegere Ausgaben einfach Ausgaben 🙂
Der Puffer ergibt sich m.E. dadurch, dass man ja Kapital oder sonstige Ressourcen hat, die einen finanziell unabhängig machen.
Es ist natürlich nicht verboten darüber hinaus noch mehr Einnahmemöglichkeiten zu verfolgen.
Aus meiner Sicht bedeutet finanzielle Unabhängigkeit oder ein unabhängiges Leben einfach (den es geht meiner Meinung nach nicht wesentlich nur um Finanzen), dass man sich selbst abseits einer andauernden Bedrohung durch temporäre oder dauerhafte Arbeitslosigkeit und dadurch bedingte Einnahmelosigkeit erhalten kann.
Hallo,
wie würde denn die 2. Formel mit der Zeitabhängigkeit aussehen? Über eine Antwort würde ich mich freuen!
Hallo Elli,
es gibt zwei Fälle:
1. Begrenztes Portfolio, i.e. das Kapital ist bei Lebensende gleich Null.
P0 = (B/r) * (1+r) * (1 – ( 1 / (1 + r)^N )
mit
P0: Ausgangskapital
B: Jahresbudget
r: Rendite (für 5% also 0.05)
N: verbleibende Lebensjahre
Du würdest also z.B. bei einem Jahresbudget von 10.000 EUR, bei 5% Rendite nach Steuern und verbleibenden Lebensjahren folgende Beträge benötigen:
für 40 Jahre €180.170,41
für 50 Jahre €191.687,22
für 60 Jahre €198.757,54
2. Endloses Portfolio, das Portfolio liefert für gegebene Wert das Jahrebudget für immer.
P0 * r = B
Für 10.000 EUR Jahresbudget und 5% Rendite brauchst du: €200.000.
Man sieht, was ja auch logisch ist, dass für eine umso höhere Restlebenserwartung, die Höhe des begrenzten Portfolios gegen die Höhe des endlosen Portfolios geht.
Wir wollen ja alle hoffen, noch lange zu leben, daher kann man die Höhe des endlosen Portfolios als guten Näherungswert nehmen.
Angenommen aber, du nimmst eine mittlere Lebenserwartung l + Puffer x an und sagst, ich will eh noch y Jahre arbeiten, dann muss dein Fond nur die Größe für N = l + x – y Jahre haben. Das kann u.U. einen interessanten Abschlag zum endlosen Portfolio bedeuten.. wenn man so planen will 🙂
Wenn dich die ausführliche Herleitung interessiert, sage Bescheid. Ich mache ggf. einen Artikel dazu.
Gruß
Frank
Hallo Frank,
An einer ausführlichen Herleitung bin ich interessiert!
Noch eine weitere Frage: sind das alles deine eigenen Gedanken oder hast du Literatur dafür verwendet? Wenn ja wäre ich auch an dieser interessiert!
Danke!
Eileen
Ein sehr schöner Artikel!
Ich beschäftige mich gerade selbst mit diesem Thema und muss sagen, dass zumindest die finanzielle Unabhängigkeit garnicht so schwer zu erreichen ist.
Eigentlich genügt es vollkommen, sich einfach mal hin zu setzen und über sein Geld nach zu denken. Woher es kommt und wohin es eigentlich geht!
Wahrscheinlich kommen viele vor lauter Arbeit, Prestigegedanken usw. garnicht dazu!
Schade wie ich persönlich finde! Und auch nicht besonders effektiv!