Wenn ich erzähle, dass ich mir mein Leben so vorstellen, dass ich nur Teilzeit arbeite und die dadurch freie Zeit dafür einsetze einen Teil des geringeren Einkommens durch geldlose Austauschprozesse mit anderen zu kompensieren, höre ich manchmal: „Das geht doch nur, weil du schon mit deinem halben Job genug verdient. Andere/die Meisten können das so aber nicht“.
Ich vermute, dass jemand, der das sagt Ärger empfindet darüber, weil er/sie glaubt, dass anderen/den meisten – und möglicherweise ihm/ihr selbst – die Wahl so zu leben nicht offensteht, weil er/sie glaubt so zu leben einen recht hohen Stundenlohn erfordert. Ein weiterer Kommentar, den ich jüngst hörte war: „Um so zu leben muss man wohl seine Karriere Opfern.“. Der Kommentator drückte damit vielleicht seine Befürchtung darüber aus, dass er glaubt, dass mit einem Leben mit halben Stelle nicht die gesellschaftlichen Anerkennung erreicht werden kann, die er/sie sich wünscht.
Mich irritieren beide Aussagen, weil ich gern möchte, dass es mehr Menschen gelingt ein Leben mit einer Balance zwischen formaler Arbeit für Geld und geldlosen Aktivitäten verwirklichen zu können. Ich wünsche mir daher, dass mehr Menschen sehen, dass dies tatsächlich eine Möglichkeit darstellt und dies weitgehend unabhängig vom konkreten Einkommen und unabhängig von den Möglichkeit der beruflichen Selbstverwirklichung ist und bewusst ihre Wahl für so ein Lebenskonzept oder eben für ein anderes Lebenskonzept treffen und damit zufrieden sind.
Wenn ich sehe, was alles über geldlose Austauschprozesse erreicht werden kann, dann bin ich zuversichtlich, dass auch ein geringeres Gehalt ausreichen kann, um ein Leben in dieser Form anzustreben. Der (gemeinschaftliche) Anbau von Lebensmitteln, der gemeinsame Bau von Lastenrädern für den Transport zum und vom Garten, die gemeinsame Anschaffung und Nutzung von Werkzeug und anderen Ressourcen, das Benutzen von Tausch- und Verschenkeportalen (z.B. Freecycle oder das Tauschportal von Pinneberg Abfall) und der bewusste Umgang mit Aussortiertem anderer u.v.m. kann nicht nur enormes Geld sparen, sondern auch erfreuliche, neue Verbindungen mit anderen Menschen erzeugen – die wieder Neues ermöglichen. Neben diesen völlig geldlosen Austauschprozessen, gibt es zusätzlich solche, für die wenig Geld nötig ist: Second-Hand und Gebrauchtmärkte, Flohmärkte, EBay-Kleinanzeigen und Gebrauchtes bei Amazon und auf anderen Portalen. Kelvin-Klein-Hemden bzw. Hugo-Boss-Anzüge sind auch zum kleinen Preis zu haben im Second-Hand-Kleidermarkt. Es gibt unzählige Möglichkeiten ohne oder mit sehr wenig Geld zu dem zu kommen, was man braucht – solange man etwas Zeit hat, die Augen offen hält und noch besser: gemeinschaftlich vorgeht! Wir ernten gemeinsam Pflaumen und an einem anderen Tag bringt jemand davon einen Pflaumenkuchen mit, ein anderer bestellt Saat und teilt diese mit den anderen, ich und TJ haben letzte Woche eine Kinderrutsche ausfindig gemacht und sie in den Garten gebraucht – kostenfrei. Zusammen haben wir am letzten Wochenende eine große Zahl Pflanzen bekommen und den Eingang unseres Gemeinschaftsgartens neu bepflanzt.
Mit einer Teilzeitbeschäftigung hat man auf einmal Zeit sich mehr mit solchen Dingen zu beschäftigen! Ich wünsche mir, dass mehr Menschen den Mut haben und zumindest einmal versuchen Teile ihrer Bedürfnisse ohne oder mit wenig Geld zu befriedigen, um selbst herauszufinden, ob diese Möglichkeiten etwas für sie sind oder nicht. Nicht jeder ist gleich und jeder braucht seine eigenen Lösungen. Und um diese zu finden sind kleinere und größere Experimente oder Herausforderungen möglicherweise hilfreich.
Wenn ich nun noch in der Studie „Zukunftsfähiges Hamburg. Zeit zum Handeln“ lese, dass selbst Unternehmensberatungen im Experiment erkennen konnten, dass sich ihre Projekte so organisieren und koordinieren können, dass sie sowohl von Vollzeit, als auch von Teilzeitkräften erledigt werden können, ja, dass sogar die bessere Balance zwischen Freizeit und Arbeitszeit nicht bloß die Mitarbeiter zufriedener machte, sondern die Mußephasen von der Arbeit bewirkt hatten, dass die Mitarbeiter mit größerem Elan und größerer Kreativität ihren Aufgaben nachkamen, dann macht es mir Mut, dass auch der Wunsch nach beruflicher Selbstverwirklichung mit einem postwachstumsökonomischen Lebensentwurf verbindbar ist.
5 Kommentare
Hallo Frank,
danke für deinen Beitrag zur Teilzeitdebatte. Es ist wichtig diese Thematik in der öffentlichen Wahrnehmeung zu stärken, damit sich letztendlich flexible/alternative Arbeitszeitmodelle weiter etablieren können.
Den Einwand, dass ein höherer Stundenlohn den persönlichen ökonomischen Druck einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen reduziert kann ich sehr gut nachvollziehen.
“Das geht doch nur, weil du schon mit deinem halben Job genug verdient. Andere/die Meisten können das so aber nicht”.
Ich sehe diesen in deinem Beitrag nicht entkräftet. Grundsätzlich kannst kann man mit seiner zusätzlichen Freizeit ökonomisch sinvollerer Entscheidungen treffen und an geldlosen
Austauschprozessen teilnehmen, wie du nachvollziehbar beschreiben hast. Es ist jedoch eine Tatsache, dass dem Arbeitnehmer mit höherem Stundenlohn grunsätzlich eine höhere finanzielle Flexibilität bleibt bei gleicher Arbeitszeit. Dies kann bei gleichen Rahmenbedingungen, insbesondere materiellen Ansprüchen, dafür ausschlaggebend sein, dass sich die eine Person für und die andere Person gegen eine Teilzeittätigeit entscheidet. Es ist natürlich auch die Frage um wieviel Stunden die bestehende Arbeitszeit reduziert werden soll. Eine Reduktion von 40 auf 35 Stunden ist mit geringerem Anpassungsdruck
verbunden als eine Halbierung der Arbeitszeit.
„…dass dies tatsächlich eine Möglichkeit darstellt und dies weitgehend unabhängig vom konkreten Einkommen und unabhängig von den Möglichkeit der beruflichen Selbstverwirklichung ist und bewusst ihre Wahl für so ein Lebenskonzept oder eben anderes Lebenskonzept treffen und damit zufrieden sind.“
Kannst du diese Aussage bitte etwas näher erläutern und
begründen?
Ein praktisches Problem ist, dass Teilzeitstellen für höher qualifizierte in der freien Wirtschaft in vielen Branchen praktisch nicht angeboten werden. Recherchiere z.B. mal die Angebotslage der Teilzeitstellen für Ingenieure. Der Markt ist praktisch nicht exististent, was sicherlich nicht nur auf die Nachfrageseite zurückzuführen ist. Es ist ggf. einfacher aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis bei demselben Arbeitgeber in Teilzeit zu wechseln. Was diese
Entscheidung für die persönliche Weiterentwicklung in dem jeweiligen Unternehmen bedeuted, darüber kann ich nur spekulieren. Es ist jedoch für mich bezeichnend, dass ich in meinem bisherigen Arbeitsleben in der freien Wirtschaft noch keinen Ingenieur in Teilzeit mit einem attraktiven Jobprofil kennengelernt habe. Da kann ich es Nachvollziehen, dass der ein oder andere Teilzeitinterressierte letztendlich nicht den Schritt wagt aus Angst seinen unterm Strich relativ interessanten Job zu verlieren – ohne dabei ein klassisches Karrieredenken im Hinterkopf zu haben.
Dass eine einzige Unternehmensberatung einen Modellversuch durchgeführt hat ist interessant aber meiner Meinung nach nich wirklich relevant für Akzeptanz alternativer Arbeitseitmodelle in der Allgemeinheit (btw: In dem unten zitierten Dokument wir auch darüber berichtet). Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die meisten Angestellen in den renomierten Unternehmensberatungen besonders lange Arbeitszeiten haben.
Ich interessiere mich selbst für eine primärer Erwerbsarbeit in Teilzeit.Für mich ist Entscheidend, dass mir bei meiner Vollzeittätigkeit nich die Energie, Zeit und Muße bleibt mich mit anderen Themen auseinderzusetzen die mir wichtig sind. Ich denke z.B. an gedanklichen Austausch mit Personen außerhalb der Arbeitswelt, geldlose materielle Austauschprozesse, handwerkliche Arbeit, Nauturerlebnisse, Bewegung/Sport usw. .
Ich vemute, dass ich mit einer reduzierten Arbeitszeit effektiver einen suffizienten Lebensstil verfolgen kann und insgesamt eine höhere Lebensqualität haben werde.
Arbeitest du praktisch schon in Teilzeit? Wieviele Wochenarbeitsstunden regulärer Arbeit strebst du an?
Eine relativ umfassende Betrachtung der Arbeitszeitthematik im volkwirtschaftlichen Kontext, bezüglich Nachhaltigkeit und persönlichem Wohlbefinden habe ich Anfang diesen Jahres hier gefunden: bit.ly/QaQlTl.(Wuppertal Institut – Impulse – Arbeit, Glück, Nachhaltigkeit).
Gruß,
Alex
Hallo Alex,
danke für deinen interessanten und langen Kommentar. Ich habe mich entschieden wieder mit Artikeln (diesmal drei) zu antworten.
Hier schon einmal die Kernpunkte:
Höhe der Stundenlöhne.
– Ich glaube, dass die Höhe Stundenlöhne nicht zwangsläufig ein Hindernis bzw. eine Ressource für die Annahme einer Teilzeitstelle ist: es geht vielmehr um unsere Ansprüche und unsere Ängste, die sich um einen undefinierten oder definierten Verlust ranken.
– Es gibt freilich eine Untergrenze, ab der eine Reduktion nicht mehr denkbar ist.
Teilzeitmarkt für Gut- bis Hochqualifizierte.
– Einen Weg beschreibst du selbst: starte mit einer Vollzeitbeschäftigung und handele dann eine Teilzeitbeschäftigung aus. Diese Möglichkeit besteht nicht selten und hängt primär davon ab, ob man sich überhaupt traut einmal seine Bedürfnisse zu artikulieren – am besten bewertungsfrei und ohne fordernden Ton.
– Meine Erfahrung mit Dax 30 Unternehmen ist, dass es sehr oft auch Teilzeitbeschäftigungen gibt (ich weiß das mindestens aus einer direkten Tätigkeit sowie von mehreren Konakten aus unterschiedlichen Branchen und Bereichen).
– Ich könnte mir vorstellen, dass es schwieriger ist in kleinen Unternehmem oder Start-ups dauerhaft „nur“ X Stunden zu arbeiten
Zu mir persönlich: ich arbeite in Teilzeit. Schon immer. Allerdings bin ich trotzdem „vollbeschäftigt“ – ich arbeite in einem abhängigem Verhältnis in Teilzeit, zudem selbstständig und ehrenamtlich und bin – wie hier häufiger erwähnt in vielen Bereichen lokalökonomisch und geldlos „unterwegs“.
Teilzeit und Nachhaltigkeit.
Die Studie kannte ich noch nicht. Die Idee der „kurzen Vollzeit“ ist mir jedoch bekannt. Die Studie trifft in meinen Augen den Nagel auf den Kopf. Nachhaltig sind Systeme nur dann, wenn sie in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht gleichermaßen nachhaltig sind. Da die Gesamtmenge der monetär vergüteten Erwerbsarbeitszeit ingesamt noch abnimmt (aufgrund noch zunehmender Automatisierung) wäre es eigentlich
1) Es wäre eine Sache der Fairness sovielen Menschen wie Möglich eine Mindestarbeitsbeteilung zu ermöglichen. Garantien gibt es natürlich in ungeplanten Wirtschaftsystemen nicht.
2) Durch eine Maschinen-/Computer-/Roboter bzw. Resourcensteuer könnte man die immer weniger humankaptialabhängigen Erträge in das soziale Teilsystem der Gesellschaft umzuleiten
3) Unabhängig vom jetzigen primär geldökonomisch geprägten Leben in unserer Gesellschaft wären Strukturen denkbar, die den geldlosen Austausch besser möglich machen. Das würde insbesondere die Nachhaltigkeit für die Domänen Soziales und Ökologisches erhöhen. Hier spielen in meinen Augen Teilzeitarbeitsmodelle eine wichtige Rolle.
4) Sofern wir – wie u.a. Dennis Meadows (Die Grenzen des Wachstums) ja schon länger offen befürchtet – die Kurve zur nachhaltigen Entwicklung nicht mehr (so gut) kriegen, wird es umso relevanter, dass mehr Menschen nicht nur wissen wie man Computer- und Maschinen bedient bzw. damit in Beziehung stehende Prozesse verwaltet, sondern wie auch „echte“ Arbeit bzw. die Tätigkeiten ausgeführt werden, die für das allernötigste Sorgen (Ernährung, Wohnen, Kleidung usw.). Aus meiner Sicht wäre eine solche Welt auch unabhängig von Weltuntergangsszenarien oder Szenarien „harter Übergänge“ erstrebenswert – für mich lehnt sich das Ganze an Ghandis Idee der Swaraj an – die Idee kleiner unabhängiger und resilienter Lebensgemeinschaften, die miteinander kooperieren um dann mehr als die Basics zu schaffen.
5) Aus meinser Sicht gibt es für eine im Sinne aller menschlicher Bedürfnisse nachhaltige Gesellschaft keine Alternative zur Synthese der von der Wachstumsidee begeisterten Weltsichten mit denen die sich nach Stetigkeit sehnen und den drei Ethiken folgen: Sorge um die Erde, Sorge um die Menschen und faires Teilen. Wie ein Wachstum – und ich halte das ebenfalls für eine elementares menschliches Bedürfnis – in einen nachhaltigem System eingebaut werden kann, erfordert einen ganz eigenen Diskurs. Für Ghandi ist es moralisches, geistiges und spirituelles Wachstum – ich bin der Meinung, dass da noch mehr geht, wir aber aufhören müssen wie verantwortungslose Kinder zu agieren und einfach alles tun, was geht, nur weil es geht. Aber eine Postwachstumsökonomie ohne Fortschrittsmöglichkeiten wird die Menschen auch nicht glücklich machen.
Gruß
Frank
exzellente GFK.
Mir gefällt der Artikel sehr gut. Vor allem auch durch die Sprachwahl
Jo, stimmt. Gut beobachtet 🙂 Die GfK hat mich bei diesem Artikel geleitet. Es ist ein interessantes Konzept – aber es erfordert noch Gewöhnung, habe ich den Eindruck.
Hallo,
interessante und informative Beiträge hier, super. Habe längere Zeit als stiller Gast nur mitgelesen und mich jetzt mal angemeldet.
Ich würde mich freuen, wenn ihr bei Gelegenheit auch einmal auf meinem Blog zum Thema Textilreinigung vorbeischauen würdet.
Alles Liebe
Herbert